Die diesmalige Stadtversammlung der Münchner Grünen war für mich quasi eine Jubiläumsveranstaltung: vor ziemlich genau einem Jahr war ich zum ersten Mal auf einer Stadtversammlung – am selben Ort, und vor allem zum selben Thema: der Olympia-Bewerbung. Immerhin war ich diesmal darauf vorbereitet, dass dies ein recht emotionales Thema werden würde. Im Vorfeld gab es gewissermaßen einen Wahlkampf und man wurde recht ausführlich mit Infomaterial versorgt – im Fall des zentralen, 190seitigen Umweltkonzepts allerdings erst drei Stunden vor Beginn der Versammlung. Mit 142 stimmberechtigten Mitgliedern und einigen Besuchern war es auch die bestbesuchte Stadtversammlung seit langem.
Bevor es ans Eingemachte ging, stand aber noch ein anderes emotionales Thema auf der Tagesordnung: Hanna Sammüllers Verabschiedung. Sie hatte zwei Wochen zuvor ihren Rücktritt von ihrem Posten als Vorsitzende des Kreisverbands München bekannt gegeben, da sie ihn zeitlich nicht parallel zu ihrer Promotion ausfüllen konnte. Dankesreden gab es von Nikolaus Hoenning, Petra Tuttas und Lydia Dietrich. Als dann noch der Song „Geile Zeit“ von Julie eingespielt wurde, wurde es aber fast etwas zu cheesy… der nicht enden wollende „Verabschiedungs-Applaus“ machte aber nochmal deutlich, wie beliebt sie an ihrem Posten war. Eine hohe Messlatte für ihre Nachfolgerin, die demnächst gewählt wird.
Bei der Diskussion um die Olympia-Bewerbung ging es im folgenden um drei Anträge, über die abgestimmt werden sollte:
- A1, gestellt von im wesentlichen von den Mitgliedern der Grünen Stadtratsfraktion, forderte, die Bewerbung weiter kritisch begleiten, also die Bewerbung grundsätzlich mittragen zu dürfen.
- A2, gestellt von Dieter Janecek, Katharina Schulze, Ludwig Hartmann und weiteren (man verzeihe mir, dass ich nicht alle Namen aufzähle), fordert eine klare Ablehnung der Olympia-Bewerbung durch die Stadtratsfraktion.
- A3 von Hermann Brem ist als Kompromissvorschlag gedacht – man solle akzeptieren, dass es in der Partei deutliche Meinungsverschiedenheiten gibt. Die Stadtratsfraktion könnte damit der Bewerbung zustimmen, müsse aber auch akzeptieren, dass Teile der Partei öffentlich dagegen Stellung beziehen.
Die Diskussion und Abstimmung darüber, respektive einer ganzen Reihe an Geschäftsordnungsanträgen, dauerte knapp zwei Stunden. Da es insgesamt 23 Redebeiträge gab, versuche ich, die wesentlichen Argumente für A1 und A2 zusammenzufassen (wohlgemerkt nur diejenigen, die meiner Erinnerung nach auch in der mündlichen Diskussion intensiver behandelt wurden, nicht alle für die eine oder andere Position):
- Für die Bewerbung:
- Das Umweltkonzept sei Kernstück der Bewerbung und entgegen der Behauptungen der Gegner sehr wohl seriös – der Öko-Institut e.V., aus dessen Feder das Konzept stammt, habe einen sehr guten Ruf. Auch dass Finanzierungskonzept sei mehrfach geprüft worden.
- Ein großer Teil der ökologischen Leitprojekte konnten durchgesetzt werden. Es sei zwar tatsächlich bedauerlich, dass zwei Projekte entfallen sind – insbesondere das geplante Biosphärenreservat rund um Garmisch-Partenkirchen. Aber dafür sei zumindest ein teilweiser Ersatz gefunden worden.
- Die Ausrichtung der Olympiade die ein guter Hebel, um wichtige grüne Projekte zügig voranzutreiben, für welche die Mühlen der Tagespolitik sonst viel zu schwer Mehrheiten zu finden wären – insbesondere das geplante Plusenergiedorf, das ein bundesweites Vorzeigeprojekt werden könnte.
- Man konnte das Bisherige aber nur durchsetzen und kann es auch in Zukunft nur durchsetzen, wenn man in den zuständigen Gremien vertreten ist und sich aus dem Projekt nicht zurückzieht.
- Die Ausrichtung der Paralympics, die an die Bewerbung gekoppelt ist, setzt ein positives Zeichen für die Integration behinderter Menschen.
- Es gehe bei der Abstimmung auch um die Glaubwürdigkeit und Kontinuität grüner Politik: die Basis der Grünen hätten bereits mehrfach die Bewerbung akzeptiert (mit Annahme des Koalitionsvertrags und auf der Stadtversammlung letztes Jahr). Ein Ablehnen der Bewerbung würde nun faktisch einen Vertragsbruch des Koalitionsvertrags darstellen.
- Dass die Informationspolitik sehr zu wünschen übrig lässt und es sich beim IOC um eine Organisation mit sehr fragwürdigen Methoden und Anforderungen handelt, wurde auch von den Befürwortern der Bewerbung nicht bestritten.
- Die Winter-Olympiade wird 2018 so oder so irgendwo stattfinden. Da sollte es uns lieber sein, hier die ökologische Ausrichtung beeinflussen zu können, als es Ländern zu überlassen, die sich weniger darum kümmern.
- Gegen die Bewerbung:
- Gerade das Finanzierungskonzept der Bewerbung sei hochgradig unseriös. Mehrere hundert Millionen Euro Einnahmen stammen aus dem nicht näher definierten Topf „Sonstiges“, auch andere Annahmen seien viel zu gutgläubig gemacht worden. Die Übernahme eines Teils des Risikos von Garmisch-Partenkirchen durch die Stadt München sei nicht hinnehmbar. Insgesamt sei das finanzielle Risiko viel zu groß.
- Die Bewerbung sei ohnehin vergebene Liebesmüh, da der Gewinner der Ausschreibung inoffiziell ohnehin bereits fest stehe: es sei die letzten Male immer so gewesen, dass die Bewerberstadt mit dem teuersten Bewerbungskonzept das Rennen machte, und in diesem Aspekt sei Pyeongchang nicht einzuholen.
- Selbst wenn sich die Bewerbung doch noch über Sponsoring privater Firmen decken sollte, fehlt das Geld (immerhin ein Betrag über 30 Mio. Euro für die Bewerbung alleine) für die Förderung anderer sozialer Projekte.
- Über das kulturelle Rahmenprogramm, das laut Koalitionsvertrag ebenfalls Bestandteil des Konzepts sein sollte, hat sich anscheinend niemand irgendwelche Gedanken gemacht.
- Da einige der zentralen Projekte des Umweltkonzepts nicht durchgesetzt werden konnten, verkommt das Umweltkonzept allenfalls zum grünen Mäntelchen. Deswegen seien auch schon ein großer Teil der seriösen Umweltverbände aus dem Projekt ausgestiegen.
- Durch eine Ablehnung der Bewerbung bestehen bessere Chancen, am fragwürdigen System der IOC etwas zu verändern – gerade weil es früher noch über ein Dutzend Bewerbungen gab, die Zahl aber mit jedem Mal schrumpft – inzwischen sind es für 2018 schon nur noch drei Städte (München eingerechnet).
Bei der ganzen Diskussion gab es vereinzelt recht polemische Aussagen („Weltdopingspiele“), und mindestens genauso viele gegenseitige Anschuldigungen der Polemik, es ging aber nie unter die Gürtellinie und es lief für ein augenscheinlich so emotionales Thema im großen und ganzen doch recht gesittet zu – das war auch letztes Jahr schon mein Eindruck. Am aggressivsten war interessanterweise ein ehemaliger Mitarbeiter des IOCs, der durch einen sprachlich brillanten GO-Antrag („Der IOC-Typ soll schon noch reden dürfen!“) kurzfristig einen eigenen Redebeitrag erhalten hatte – er prangerte das IOC als „Mafia-Organisation“ an, zu dem endlich mal jemand „Nein“ sagen müsse.
Gewisse Probleme bereitete die Frage, wie man über die drei Anträge am besten abstimmen könnte: während A1 und A2 klar konträre Positionen darstellten, war der Kompromissantrag A3 schwerer in eine klare „Entweder-Oder“-Abstimmung einzubinden. Das führte zu dem Kuriosum, dass es mitunter eine Abstimmung über einen Geschäftsordnungsantrag über die Durchführung eines schriftlichen Meinungsbildes zur Bestimmung der eigentlichen Abstimmung gab…
Schon bei diesem Meinungsbild wurde die Tendenz klar: der ablehnende Antrag A2 hatte eine klare Mehrheit, gefolgt vom Kompromissvorschlag A3. Diese beiden Anträge traten in einer Stichwahl gegeneinander an, mit dem Ergebnis, dass sich:
- 92 Mitglieder für die Ablehnung (A2) und
- 45 für den Kompromissantrag (A3) entschieden,
die Stadtratsfraktion also aufgefordert wurde, sich gegen die Bewerbung auszusprechen.
Was tatsächlich passieren wird, wird sich am Mittwoch zeigen, wenn die Entscheidung im Stadtrat fällt. Dieter Janecek, Wortführer des ablehnenden Antrags, erwähnte gleich im Anschluss an die Abstimmung, dass er nicht erwarte, dass das Votum 1:1 umgesetzt wird, man in Zukunft aber intensiver darüber kommunizieren müsse, wie man damit umgeht. Sigi Benker griff das als Fraktionsführer gleich auf und kündigte an, dass sich die Fraktion nun intern beraten würde und dann möglicherweise nach „unserem Gewissen“ entscheiden würden.
Wirklich überraschend wäre es zumindest nicht, wenn sich die Stadtratsfraktion anders als vom Votum gefordert trotzdem für die Bewerbung aussprechen würde oder die Entscheidung den einzelnen Mitgliedern freigibt – ähnlich wurde letztens auch bei der Entscheidung zum zweiten S-Bahn-Tunnel verfahren.
Etwas überschattet von Olympia gab es aber auch noch weitere Anträge und Resolutionen, über die auf der Stadtversammlung abgestimmt wurde, auch wenn sie deutlich weniger Zeit in Anspruch nahmen und nach der anstrengenden Diskussion leider vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekamen:
- Hermann Brem stellte eine Resolution vor, in der sich die Grünen München gegen Atomkraft aussprachen. Was manchen etwas befremdlich vorkam – es gibt wohl kaum eine Position, das als noch selbstverständlicher angesehen wird als diese, also warum darüber abstimmen? – hatte den Zweck, durch diese Resolution nocheinmal zur Demonstration kommenden Samstag aufzurufen. Die Resolution wurde angenommen.
- Gülseren Demirel warb dafür, sich in Form einer Resolution für die Integration, aber gegen den Populismus zu diesem Thema auszusprechen. Die Resolution wurde angenommen.
- Florian Roth rief in einer Resolution dazu auf, sich mit den Protestierenden gegen Stuttgart 21 zu solidarisieren. Die Resolution wurde angenommen.
- Dominik Schott hatte ursprünglich vor, seinen Antrag zur Abschaffung der Maklergebühren vorzustellen – den er eigentlich schon auf der vorigen Stadversammlung behandeln wollte. Leider traf ihn diesmal wieder das selbe Schicksal: der Antrag wurde wegen Zeitknappheit auf die nächste Versammlung verschoben.
- Sebastian Weisenburger stellte einen Antrag, der die Gentrifizierung / Yuppisierung vieler einiger Stadtteile thematisiert – in München ist davon derzeit besonders Giesing und das Westend betroffen. Luxussanierungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sind für viele Münchner eine sehr große Sorge, da hierdurch häufig alteingesessene Bewohner eines Stadtviertels vertrieben werden. Sowohl die Stadtratsfraktion als auch die Landtagsfraktion wird in dem Antrag dazu aufgefordert, Maßnahmen gegen diesen Prozess zu ergreifen (z.B. in Form einer städtischen Erhaltungssatzung). Der Antrag wurde angenommen. Hermann Brem kündigte außerdem an, dass seitens des Stadtvorstands geplant ist, eine eigene Veranstaltung zu dem Thema zu organisieren, es möglicherweise auch zu einem Schwerpunktthema einer künftigen Stadtversammlung zu machen.
Abschließend gab es noch eine ganze Reihe an Personalwahlen:
- Zwei RechnungsprüferInnen für das Jahr 2009 wurden gesucht. Da dies wohl nicht gerade der prestigeträchtigste Job ist, musste wohl auch wirklich gesucht werden, bis sich zwei Freiwillige fanden.
- Es gab Nachwahlen für die zwei verbliebenen Frauenplätze für die Landesdelegiertenkonferenz (LDK) in Würzburg. Da es dafür genau zwei Bewerberinnen gab, fiel die Wahl auch hier nicht sonderlich schwer.
- Es mussten noch Ersatzdelegierte für die LDK gewählt werden.
- Etwas mehr Zeit nahm dann noch die Wahl der Delegierten für die Bundesdelegiertenkonferenz in Freiburg in Anspruch. Hier gab es insgesamt 14 Plätze, also 7 Frauen- und 7 offene Plätze. Für die Frauenplätze gab es etwa ein Dutzend, für die offenen Plätze etwa 15 BewerberInnen.
Da zur BDK-Delegierten-Wahl die Zeit schon sehr fortgeschritten war (kurz vor Mitternacht), sich die Reihen entsprechend lichteten und es langsam Zweifel gab, ob die Stadtversammlung überhaupt noch beschlussfähig sei, blieb ich noch um meine Stimme abzugeben, wartete dann aber das Ergebnis nicht mehr ab.