Es war für mich eine recht spontane Entscheidung, das PolitCamp zu besuchen. Ich hatte ohnehin vor, am Freitag (19. März) die Leipziger Buchmesse zu besuchen, um mich mit einigen Bekannten zu treffen. Erst am Dienstag zuvor bemerkte ich dann, dass das PolitCamp ja passenderweise am darauffolgenden Samstag und Sonntag war, und mit Berlin auch nur einen Katzensprung entfernt.
Leipziger Buchmesse
Die Leipziger Buchmesse hat sich aus meiner Sicht klar gelohnt; feste Termine hatte ich mit Michael Wache (Anime on Demand) und Yasuko Sakaedani (Japanische Botschaft), mit denen ich mich ohnehin immer sehr gut verstehe, außerdem nette Gespräche mit Myriam von den Fireangels, Mille vom Schwarzen Turm und ein kurzes Begutachten des e-Book-Readers txtr. Der Animexx-Stand gab optisch richtig viel her – da ich ja selbst nicht an der Planung und Durchführung beteiligt war, darf ich das hoffentlich sagen, ohne des Eigenlobs bezichtigt zu werden. 🙂
Politcamp
Aber jetzt zum eigentlichen Thema: das PolitCamp, das unter dem Motto „Politik trifft Web 2.0“ lief und zum zweiten Mal stattfand.
Von der Organisationsform war ich zugegebenermaßen etwas überrascht: ich kannte aus diesem Themengebiet bis jetzt fast ausschließlich den Chaos Computer Congress, der ein recht straff durchorganisiertes, im Vorfeld festgelegtes Programm von früh bis spät in die Nacht hat.
Das PolitCamp ist dagegen sehr stark „Bottom Up“ organisiert: ein wesentlicher Teil des Programms wurde erst auf dem Camp selbst festgelegt, einige Sessions fanden völlig spontan statt.
Das Programm verteilte sich auf fünf Räume: ein großer Saal und vier kleinere Workshop-Räume. Im großen Saal fanden vor allem jene Veranstaltungen statt, an denen die „Promis“ teilnehmen (Kristina Schröder, Franziska Heine, Konstantin v. Notz, Volker Beck, etc.; Peter Kruse war angekündigt, musste krankheitsbedingt leider absagen).
Am Anfang beider Tage fand für jeweils eine Stunde die Session-Planung statt: alle, die einen Vortrag oder Workshop halten wollen, stellten ihr Thema kurz auf der Bühne vor; anhand eines kurzen Feedbacks aus dem Publikum (Handzeichen) wurden dann anhand der zu erwartenden Besucherzahl und den technischen Anforderungen der Raum und Zeitslot zugewiesen.
Ein paar persönliche Anmerkungen zu den Vorträgen, die ich besucht habe:
Whistleblowing: Der Referent definierte Whistleblower (Personen, die interne Dokumente oder Informationen aus Firmen oder anderen Organisationen meist anonym veröffentlichen, um dadurch auf Missstände hinzuweisen; klar abzugrenzen von Denunzianten, deren Ziel es ist, sich mit der Macht zu arrangieren) und erklärte die Notwendigkeit von Whistleblowing. Einwände seitens des Publikums gab es vor allem dahingehend, dass das anonyme Publizieren auch dazu genutzt werden könne, mittels Falschinformationen gezielten Rufmord zu begehen; das sei besonders dann gefährlich, wenn die Fehlinformationen gängige Klischees und Vorurteile bedient. Außerdem ist es besonders in kleinen Arbeitseinheiten häufig nicht wirklich möglich, Dokumente anonym zu veröffentlichen.
Datenschutz als Ideologie: Dieser Vortrag empfand ich als einen der Inspirierendsten des gesamten Camps. Christian Heller stellte bewusst provozierend seine Thesen vor, warum der Datenschutz völlig überbewertet, und die Gründe der Datenschützer mitunter gar gefährlich seien („Meine Daten gehören mir“ und Konzepte wie „Digitales Vergessen“ führten implizit zu Konzepten wie „Geistiges Eigentum“ und „DRM“). Ich möchte die Thesen hier gar nicht alle wiederholen – Christian hat sie auch online veröffentlicht und den Vortrag gibt es auch als Stream im Netz (etwa ab 1:56:00). Man muss wohl nicht allen Thesen zustimmen, aber es lohnt sich, einmal diese konträre Position anzuschauen. Und es war herrlich zu sehen, wie einige im Publikum nahezu explodiert sind vor Drang, Christian zu widersprechen…
Politik trifft Web 2.0: In dieser „Elefantenrunde“ wurde das Verhältnis der (Bundes-)Politik zum Web 2.0 diskutiert. Star der Veranstaltung war freilich die „Twitter-Ministerin“ (Spiegel Online) Kristina Schröder, die Grünen waren durch Volker Beck repräsentiert, die FDP durch Müller-Sörenksen, die Linke durch Wawzyniak, außerdem diskutierten noch Martin Stadelmeier und Thomas Knüwer mit. Inhaltlich gibt es zu diesem Panel nur wenig zu sagen – ich hatte auch nicht wirklich das Gefühl, dass die Inhalte hier irgendwen interessierten, das ganze wurde wohl vor allem als Image-Veranstaltung verstanden.
Witziges Detail am Rande: das BMFSFJ stellte gleich am Samstag noch ein Video von Schröders Auftritt auf dem Panel online. Da der Applaus in real (auf ZapLive etwa um 00:08:20 rum) wohl nicht gereicht hat, wurde anscheinend nachträglich noch etwas mehr hinzugemischt…
Diskussion zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: Auch ein Vortrag, der mir jetzt inhaltlich wenig Neues geboten hatte (was allerdings auch daran lag, dass ich den Entwurf auf der Hinfahrt einmal genauer mit der bisherigen Fassung verglichen hatte und dadurch schon etwas damit vertraut war), aber zumindest von den Positionen der Diskussionsteilnehmer her teils recht interessant. Überraschend war hier vor allem, dass CDU’ler Jarzombek den Vertrag äußerst scharf kritisierte – im besonderen das Vorgehen, Gesetze praktisch komplett unter Ausschluss der parlamentarischen Ebene zu erlassen. Außerdem bezweifelte er, dass es jemals staatlich anerkannte Jugendschutz-Programme geben könne. Stadelmeier trat als Verteidiger des JMStV auf. Seine Aussage, der JMStV habe keine Transparanz-Probleme, das Vorgehen dahinter sei vielmehr ähnlich Transparent wie bei EU-Verträgen, mochte nicht so richtig überzeugen; fairerweise muss man aber anmerken, dass zumindest ein gewisser Teil der ablehnenden Haltung des Publikums auch daher rührte, dass Stadelmeiers Argumente auch einfach nicht verstanden werden wollten.
Grünes Vernetzungstreffen: Später am Samstag fand ein grünes Vernetzungstreffen statt, auf dem etwa 30-40 Mitglieder und ein paar Interessierte sich gegenseitig bekannt machten. Es wurde kurz eine mögliche zukünftige Zusammenarbeit besprochen, das Wurzelwerk und die Idee eines „GrünenCamps“. Da für die Diskussion aber nur etwa 15 Minuten Zeit war, da die Vorstellungsrunde bereits eine halbe Stunde dauerte, wurden die Themen nicht weiter vertieft.
Wurzelwerk: Da auf dem Vernetzungstreffen größeres Interesse am Wurzelwerk bestand, meldete Fabian Heil spontan am Sonntag noch einen Workshop zum grünen Mitgliedernetzwerk an. Der Workshop war überraschend gut besucht, auch Mitglieder der Piratenpartei und der SPD interessierten sich offensichtlich dafür. Der Vorstellung folgte eine ausgesprochen interessante Diskussion. Fabian räumte recht freimütig viele Probleme beim Wurzelwerk ein und gab auch eine Vorstellung von den finanziellen Dimensionen des Projekts, der wohl besonders für einige Vertreter der Piratenpartei recht überraschend war. Mir selbst war zum Beispiel neu, dass das Wurzelwerk vor allem auch bereits existierende Insellösungen vereinigen soll und sich dabei in die zentrale Mitgliederverwaltung integrieren muss. Die Piraten bestätigten, gerade bei der Mitgliederverwaltung auch recht ähnliche Probleme zu haben, und auch dem SPD-Vertreter kamen wohl einige Probleme recht bekannt vor.
Diskussionsrunde „Netzneutralität“: Dem Votrag von Markus Beckedahl am Samstag zur Einführung in die Thematik folgte eine größere Diskussionsrunde am Sonntag. Mit Konstantin v. Notz (Grüne), Sebastian Blumenthal (FDP), Peter Tauber (CDU), Matthias Groote (SPD) und Stefan Engeln (vom Internet-Provider 1&1) war die Runde wieder recht hochkarätig besetzt – und dieses Panel war inhaltlich tatsächlich auch recht ergiebig, die Diskussionsteilnehmer konnten ihre unterschiedliche Positionen recht deutlich darstellen:
- Für Notz (Grüne) ist der neutrale Netzzugang Teil der Daseinsvorge; da die Provider ein kommerzielles Interesse an der Traffic-Regulierung hätten und es in anderen Ländern bereits einige Probleme dahingehend gab (und Skype auch in vielen Mobilfunksystemen blockiert wird, was eben gerade ein Verstoß gegen die Neutralität ist), solle der Staat generell, aber insbesondere in Fällen, in denen Staatssubventionen fließen, auf einen neutralen Netzzugang bestehen.
- Blumenthal (FDP) sprach sich ebenfalls für Netzneutralität aus; der Staat solle aber erst nicht schon präventiv regulierend eingreifen, sondern erst dann, wenn ein Missbrauch auch tatsächlich festgestellt wurde. Ein Missbrauch ist für ihn dabei nicht automatisch, wenn die Netzneutralität verletzt wird, sondern nur dann, wenn dies geschieht, ohne in den AGBs geregelt zu sein.
- Für den 1&1-Vertreter ist die ganze Debatte ohnehin nur eine „Scheindebatte“; die Neutralität werde mindestens genauso von den Herstellern proprietärer Mobilfunksysteme bedroht; dass Skype in manchen Mobilfunksystemen blockiert wird, sei auch kein gutes Beispiel für die Verletzung der Netzneutralität, da Skype ja ein proprietäres System sei, das damit selbst nicht neutral sei; außerdem zeige doch gerade die Diskussion um die Netzsperren, dass sich die Politik aus der Regulierung des Internets besser heraus halten solle.
Politik-Bashing und Online-Diskussionskultur: Hier diskutierten die Leiter einiger Online-Magazine (u.a. taz,Vorwärts) darüber, wie sie mit den Nutzer-Diskussionen zu ihren Artikeln umgehen und welche Erfahrungen sie mit Trollen und radikalen Äußerungen gemacht haben. Allzu interessant war das ganze nicht, eben eine Aneinanderreihung von Einzelerfahrungen. Julia Seliger (taz) brachte aber reichlich Würze mit in die Diskussion, indem sie mit Äußerung wie „Ich würde gerne noch sehr viel mehr zensieren“ oder „90% des Internets ist völliger Müll“ (wohl völlig bewusst) das Publikum zum Kochen brachte, und zeitweise noch während der Podiumsdiskussion auf Tweets antwortete…
Fazit
Ich bereue es nicht, aufs PolitCamp gefahren zu sein, bin aber nun auch nicht hellauf begeistert.
Die Organisation des Camps machte einen recht soliden Eindruck. Die Location, ein zum Veranstaltungszentrum umgebautes ehemaliges Pumpwerk, lag leicht zugänglich am Ostbahnhof und sah von außen richtig cool aus. Die Verpflegung war okay – richtig toll war aber, dass es das Mittagessen kostenlos gab. Ein wirklich netter Service, beim ohnehin schon recht moderaten Eintrittspreis von knapp vierzig Euro.
Grundsätzlich hatte ich oft das Gefühl, dass die Teilnehmerzahl von etwa 900 am Samstag doch schon etwas zu hoch war um noch eine wirklich persönliche Atmosphäre aufkommen zu lassen. Am Sonntag war das schon eher der Fall, da waren es geschätzt nur noch etwas mehr als halb so viele.
Als störend empfand ich auch die auch seitens der Organisation forcierte Twitter-Fixierung. Diese kristallisierte sich besonders in einer großen Twitter-Wall hinter der Bühne des großen Saals, die live alle „#pc10“-Tweets anzeigte. Sie motivierte die Zuschauer in ganz besonderem Maße, ständig jede Aussage mitzukommentieren und die Leinwand als Live-Chat über die gerade stattfindende Diskussion zu verwenden – Schirrmacher würde hier seine Thesen zur Konzentration in Zeiten des Internets wohl mehr als bestätigt sehen. Als Mittel um sich kennenzulernen erfüllte Twitter dagegen sehr gute Zwecke – es lernten sich viele erstmals im RL kennen, die sich bisher nur als Follower ihrer jeweiligen Tweets kannten.
Und ich denke, so muss man das PolitCamp auch begreifen: eine Gelegenheit, Leute kennenzulernen und alte Kontakte zu pflegen – die Diskussionspanels stehen dem gegenüber nur an zweiter Stelle.