Am 23. und 24. Oktober war sie endlich, die lang erwartete Landesdelegiertenkonferenz. Lang erwartet deshalb, weil die Wahlen der Münchner Delegierten ungewöhnlich früh stattfanden und man nach der Wahl (siehe meinen früheren Blog-Eintrag dazu) gute drei Monate Zeit zur Vorbereitung auf die Konferenz hatte.
Vorbereitungen
Die beiden Hauptanträge der Versammlung hatten eine recht lange Vorlaufzeit und wurden im Vorfeld bereits intensiv diskutiert:
- Der wachstumskritische Antrag „Besser ist mehr“ geht unter anderem auf den ersten „Zukunftskongress“ in Fürth zurück, in dem die Wachstumsfrage diskutiert wurde. Verschiedene Arbeitskreise steuerten Textbausteine bei, die vom Landesvorstand in eine erste Rohfassung des Antrags zusammengefasst wurden. Wieder berieten verschiedene Arbeitskreise darüber, reichten wie viele andere in einem offenen Antragstool Kommentare ein (was in dieser Menge wohl bereits zu einem kleinen Änderungs-Chaos führte). Der daraus resultierende Antrag (A1) wurde unter anderem in einigen Ortsverbänden diskutiert. Bis zur Konferenz gab es 9 formale Änderungsanträge, die zum Teil auch wieder revidiert wurden; einige davon flossen in eine weitere Revision des ursprünglichen Antrags (A1neu) ein, über andere musste dann auf der LDK tatsächlich abgestimmt werden.
- Der zweite Antrag, zum Verhältnis zwischen Staat und Kirche, hatte etwa zwei Jahre Vorlauf. Anlass waren die harschen Reaktionen der Presse und politischen Konkurrenz auf den damaligen Beschluss über religiöse Symbole, die wohl für manche noch ein kleines Trauma darstellen. Es wurde eine Kommission eingerichtet, die über zwei Jahre hinweg verschiedenste Gruppierungen und Strömungen anhörte und schließlich systematisch die konsensfähigen Positionen innerhalb der Partei darlegte und die Konfliktstellen benannte. Der Antrag diente hier hauptsächlich dem Zweck, sicherzustellen, dass der angefertigte Kommissionsbericht auch tatsächlich der in der Parteibasis mehrheitlich vorhandenen Meinung entspricht. Dazu wurde er auch in mehreren Veranstaltungen wie z.B. Ortsverbands-Sitzung vorab diskutiert. Es gab auch noch drei weitere Anträge zu diesem Thema, die teils eine deutlich schärfere Gangart gegenüber der Kirche forderten oder das Thema gar nicht zur Entscheidung bringen wollten – es war abzusehen, dass sich dieser Antrag durchsetzen würde, weswegen sich auch die 7 Änderungsanträge auf diesen bezogen.
Neben der inhaltlichen gab es aber natürlich auch rein organisatorische Vorbereitungen – Zug-Gruppen-Tickets besorgen, Hotelzimmer buchen… hier engagierten sich Petra vom Stadtbüro aus und Julian sehr hilfsbereit.
Eindrücke
Die Versammlung fand im Congress Centrum Würzburg statt – einem recht edlen Veranstaltungsforum, das aber beim Catering (und mutmaßlich auch der Miete) nicht gerade auf Dumpingpreise setzt. Es gab neben dem großen Saal einige kleinere Workshop-Räume (in denen wir am Freitag die Sitzung des LAK Medien- und Netzpolitik hatten) und ein Foyer mit einigen Ausstellern. Leider hatte ich keine Zeit, mir sie genauer anzuschauen, da die Konferenz wirklich praktisch die komplette Zeit in Anspruch nahm: am Samstag von 11:00 bis etwa 19:00 Uhr, am Sonntag von 9:00 bis etwa 15:00 Uhr. Wohlgemerkt durchgehend ohne Mittags- oder sonstige Pausen. Da sich bei jedem irgendwann mal der Magen meldet und die ganze Konferenz ja auch eifrig zum Netzwerken benutzt wird, war das Foyer auch während der eigentlichen Versammlung immer recht belebt – und der Saal wechselhaft voll besetzt.
Eine wohl noch recht neue, aber schon lieb gewonnene Tradition der bayerischen Landesversammlungen ist das „Yeaahh!-Bingo!“: aus einem am Vortag erstellten Pool an Reizwörtern und Phrasen bekam jede Delegierte einen Zettel mit 25 zufällig ausgewählten Begriffen vorgelegt, mit der Aufforderung, laute Yeaahh! zu rufen, wenn fünf in der Reihe abgehakt sind. Es dauerte höchstens eine Stunde, bis der Gewinner feststand – und Claudia Roth damit einmal mehr bei ihrer Rede unterbrach (bereits auf der letzten LDK traf es sie, damals noch völlig überraschend; unter http://vimeo.com/7876517 sieht man die damalige Szene, etwa bei 24:10 min).
Lobenswert ist die technische Begleitung durch die Netzbegrünung: das W-Lan hatte durchgängig funktioniert (was ja selbst beim CCC nicht selbstverständlich ist), der Livestream wohl auch fast (am Sonntag kam wohl jemand auf die Idee, das Equipment einfach auszustecken um stattdessen sein MacBook aufzuladen). Die Zahl der Teilnehmer, die live twitterten, war recht überschaubar – dafür hatte ich auf diese Weise auch neue Leute kennengelernt.
Das mediale Interesse war mittelgroß: die Vertreter insbesondere des Bayerischen Rundfunks huschten ständig hin und her und filmten – noch nicht ganz schlimm, aber schon genug, um gelegentlich durchaus zu nerven. Es ist zumindest recht störend, wenn Interviews mit den Bundestagsabgeordneten mitten in den vorderen Sitzreihen durchgeführt werden – während die eigentliche Versammlung weiter läuft.
Ablauf
Die Versammlung begann mit einem Gedenken an den verstorbenen Fraktionsvorsitzenden Sepp Daxenberger in Form eines Films und mehrerer Reden.
Es folgte eine Debatte zum Thema „Grünes Wachstum“ mit einigen gesetzten Redebeiträgen aus der Landtags-, der Bundestags- und der Europafraktion sowie der Grünen Jugend. Daneben gab es mehrere ausgeloste Redebeiträge. Es war bei der Debatte auffällig, dass sich hier hauptsächlich die verschiedenen Abgeordneten zu Wort meldeten. Das war insofern interessant, als dass man hier mal viele Abgeordnete sah und ihr jeweiliges Themengebiet kennenlernte, mit denen man sonst kaum etwas zu tun hat (z.B. fand ich die Reden von Uwe Kekeritz aus Fürth besonders interessant). Andererseits hatte das ganze dadurch mehr den Charakter einer Vortragsreihe denn einer klassischen kontroversen Diskussion. Das ist im Prinzip in Ordnung – zumindest im Nachhinein wäre es aber angesichts der Zeitknappheit zum Schluss hin meiner Meinung nach besser gewesen, diesen Punkt zugunsten kontroverserer Themen etwas zu straffen.
Die Diskussion um den „Leitantrag Wachstum“ wurde durch ein Referat des Berliner Senators Reinhard Loske eingeleitet, der einen recht breiten Überblick über die gesamte Wachstumsdebatte lieferte – sowohl über die vielen verschiedenen Themenfelder (Steuern, Indizi, Soziale Innovationen, Rebound-Effekt, …) als auch über die Historie der Debatte. Der Antrag genoss sehr hohe Zustimmung, daher war die anschließende Diskussion recht einfach und er wurde mit großer Mehrheit angenommen.
Etwas umstrittener waren die verschiedenen Anträge zum Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Aber auch hier setzte such der Antrag des Landesvorstands klar durch. In der Frage zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen gab es keine Entscheidung – wobei sich hier nach meiner persönlichen Wahrnehmung wohl die Gegner eines Verbots klar durchgesetzt hätten.
Weitere Anträge, die behandelt wurden:
- Inklusion als Thema für eine der folgenden Konferenzen im Rahmen des „Mein Bayern“-Prozesses.
- „Ohne Frauen geht nichts!“ – ein Antrag, der eine ganze Reihe an Forderungen aufstellte, welche die Stellung der Frau verbessern sollen. Die meisten der Forderungen waren unstrittig, nur zur Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten gab es Gegenstimmen. Hier muss ich aber kritisch anmerken, dass ich den Umgang mit dem Gegenredner, auch wenn ich seine Position nicht teile, alles andere als fair empfand – er wurde regelrecht ausgepfiffen.
- Der Antrag zur Begrenzung der Amtszeit von Bürgermeistern wurde nicht ganz in der ursprünglichen Fassung beschlossen. Der Antrag war wohl auf einen konkreten Einzelfall zurückzuführen. Stattdessen wurde das Anliegen an verschiedene Parteigremien weiterverwiesen.
- Gerald Häfner (MEP) stellte die Europäische Bürgerinitiative vor und forderte (und bekam) ein klares Votum der Basis für eine möglichst bürgerfreundliche Ausgestaltung.
- Die Grüne Jugend stellte (mit einer kleinen Bühnenperformance) die Probleme mit dem aktuellen Schulnotensystem vor und forderte in einem Antrag ein Bekenntnis zu individuelleren Bewertungssystemen.
- Zwei Anträge befassten sich mit den ländlichen Räumen Bayerns: generell sollten ländliche Räume gefördert werden, und insbesondere das Gesundheitssystem in diesen Bereichen soll verbessert werden.
- Außerdem wurde eine Stärkung der Gewerbesteuer zur kommunalen Wirtschaftssteuer gefordert. Es gab zwar auch Kritik an der Gewerbesteuer, gerade weil es sich dabei auch um eine konjunkturabhängige Steuer handelt, der Antrag wurde trotzdem beschlossen.
Der zweite Tag bestand vor allem aus Gremienwahlen. Dieter Janecek bewarb sich (ohne Gegenkandidaten) erneut als Parteivorsitzender und wurde mit gut 90% Zustimmung wiedergewählt.
Noch deutlicher war die Wiederwahl des Schatzmeisters Benedikt Mayer: er wurde mit exakt 100% Zustimmung wiedergewählt und war damit wohl der der größte Gewinner der ganzen Wahlen. Nicht nur aufgrund seines sympathischen Humors („Mist, jetzt kommt raus, dass ich mich auch selbst gewählt habe“), sondern natürlich vor allem wegen der recht soliden Buchführung und Haushaltsplanung, die er zuvor recht vorstellte.
Umkämpft war der Parteirat, für den es mehr als doppelt so viele BewerberInnen gab als Plätze. Im Ergebnis setzt sich der neue Parteirat aus 12 Mitgliedern zusammen, die wohl recht gut über die verschiedenen Regionen Bayerns und die verschiedenen Betätigungsfelder (Grüne Jugend, Landtag, Bürgermeister, …) verteilt sind.
Viele weitere Gremien hatten das Problem, dass es tendenziell zu wenig BewerberInnen für sie gab und sie nur durch spontane Bewerbungen überhaupt voll besetzt werden konnten. Ich für meinen Teil habe das Gefühl, dass das mitunter daran liegt, dass die Arbeit vieler Gremien vergleichsweise unbekannt ist. Vom Länderrat hatte ich beispielsweise erst im Rahmen der Vorbereitung auf diese LDK erfahren, obwohl dieser offenbar durchaus eine wichtige Rolle innerhalb der Partei hat. Bei den verschiedenen finanzbezogenen Posten (SchatzmeisterIn, Rechnungsprüfung, Bundesfinanzrat) überrascht mich das geringe Interesse leider weniger – beim Animexx ist die Situation ja nicht viel anders.
Die sonst sehr positive Bilanz der Landesversammlung wurde leider zum Schluss durch einen recht unschönen Misserfolg getrübt: es standen noch zwei Satzungsänderungsanträge an, einerseits zur geschlechtergerechten Sprache, andererseits zum Frauenstatut – also zu Herzensangelegenheiten der Partei. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit waren aber schon so viele Delegierte abgereist, dass der Versammlung die Beschlussunfähigkeit drohte – die Abstimmung musste auf eine andere Landesversammlung verschoben werden. Ärgerlich, gerade weil der Antrag eigentlich bereits am Vortag behandelt werden hätte sollen.
An dem unrühmlichen Schluss sind eigentlich zwei Dinge ärgerlich: erstens, dass diese Entscheidungen, für die ein Quorum nötig ist, ans Ende Schluss gestellt wurden, zweitens aber auch, dass viele TeilnehmerInnen sehr frühzeitig abzureisen pflegen. In diesem Punkt war ich auch mit der Reisplanung meiner eigenen Delegation (KV München Land) nicht einverstanden.