Nach der leider geplatzten Reise zum EU-Parlament im September hatte ich mich dazu entschlossen, der Einladung in der Grünen Wochenübersicht zu einer Bildungsreise nach Berlin zu folgen. Geladen hatte Jerzy Montag, organisiert wurde die Reise von Sebastian Weisenburger und, wie bei solchen Reisen nach Berlin üblich, das Bundespresseamt. Letzteres übernahm dabei auch die Finanzierung und, das muss man anerkennen, es lässt sich dabei nicht lumpen: Abgesehen von einem geringen Eigenbeitrag von 20 EUR übernahm es die komplette Fahrt, die Kosten der Hotel-Doppelzimmer, der Verpflegung vor Ort (hauptsächlich wirklich sehr gute Buffets) sowie die Führung.
Die Reisegruppe bestand aus etwa 50 Personen, wobei das Angebot offenbar überwiegend von SeniorInnen genutzt wird. Einige JournalistInnen und StudentInnen waren dabei, für mich überraschend wenig bekannte Gesichter aus der Partei.
Der erste Tag der Reise war geprägt vom Konflikt um die Laufzeitverlängerung. Schon bei der Stadtrundfahrt am Vormittag waren an verschiedenen Stellen in Berlin Protestaktionen zu sehen: Greenpeace demonstrierte gerade vor der CDU-Zentrale, eine Kundgebung am Brandenburger Tor, und schließlich die große Demonstration vor dem Bundestag. Dort hatten wir Glück im (wenn man den traurigen Anlass bedenkt) Unglück: die Bundestagsdiskussion um die Laufzeitverlängerung hatte sich unvorhergesehener weise so weit in die Länge gezogen, dass wir die persönlichen Stellungnahmen der Abgeordneten zu diesem hoch spannenden Thema noch live miterleben konnten. Diese Möglichkeit der persönlichen Stellungnahmen nahmen hauptsächlich die Abgeordneten unserer Fraktion wahr – auch von der SPD kamen gute Statements. Besonders erwähnenswert ist dabei der hitzige Auftritt von Marco Bülow (der mir durch sein selbstkritisches Buch „Wir Abnicker“ bereits ein Begriff war), der sich um ein Haar mit Kauder geprügelt hätte…
Das anschließende Gespräch mit Jerzy Montag wurde dadurch leider auf wenige Minuten gestaucht; dass ihm die Abstimmung über das Gesetz wichtiger war als der Termin mit unserer Gruppe, sei ihm (gerade noch so 😉 ) verziehen. Dafür gab es anschließend noch ein gemeinsames Sight-Seeing und ein Gruppenfoto auf der Reichstagskuppel.
Ein unerwartetes Highlight war der Besuch bei der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb). Nach einer kurzen Erklärung über die Aufgaben des Instituts referierte ein Mitarbeiter äußerst fachkundig über Migration, besonders über die zurzeit intensiv diskutierten Probleme mit der Integration. Ohne Beschönigung oder Schwarzmalerei stellte er die Erfolge des „Integrationsweltmeisters“ Deutschland dar (seit ’45 seien über 25 Mio. Menschen eingewandert), die Probleme, und rückte nebenbei vieles in ein neues Licht (so sei beispielsweise gerade die CDU „die Multi-Kulti-Partei“ – die meiste Einwanderung habe es unter CDU-geführten Regierungen gegeben). Er ging dabei besonders auf die Situation in Berlin ein, und stellte gerade am Beispiel Neukölln dar, wie sehr viele der heute existierenden Probleme (hohe Arbeitslosigkeit, kriminelle Banden) durch schlechte bzw. nicht existierende Integrationspolitik hausgemacht sind. An Hand dem Verlauf der öffentlichen Diskussion wies er auf eine seiner Meinung nach schleichende Entsolidarisierung der Gesellschaft hin und warnte vor dem Reflex, in Krisenzeiten nach Sündenböcken zu suchen (beispielsweise wenn in Zeiten der Finanzkrise ein besonders Migranten-kritisches Buch gerade von einem Banker geschrieben wird…)
Eher mäßig interessant war der Besuch beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (bpa), das vorher seitens der bpb noch als „die eigentliche Propagandaorganisation der Bundesregierung“ angekündigt wurde. Abgesehen von der natürlich sehr tollen Arbeit in der Durchführung solcher Bildungsreisen und der Veröffentlichung von Informationsbroschüren und Online-Magazinen beschränkt sich die Arbeit vor allem darin, die Nachrichten der sieben größten Nachrichtenagenturen auszuwerten und für die Kanzlerin (sie bekommt vom bpa ~50 SMS zwei Kanzlerinnenmappen pro Tag) und verschiedene Minister persönlich aufzubereiten. Größer eigenständige Recherche betreibt das Amt dabei nicht. Aufgefallen ist mir beim bpa aber, dass hier die Sprache so gut wie in keiner anderen besuchten Einrichtung durchgegendert war.
Neben den politischen Einrichtungen besuchten wir natürlich auch mehrere Museen und Denkmäler: das Dokumentationszentrum Topografie des Terrors (dank der Führung war diese Ausstellung über die NS-Täter höchst interessant. Ohne Führung wäre die Ausstellung wohl eher sehr trocken gewesen), das umstrittene, meiner Meinung nach aber sehr beeindruckende Denkmal der ermordeten Juden Europas und die Gedenkstätte Berliner Mauer.
Ein herzlicher Dank geht an Sebastian fürs Organisieren und unsere Reiseführerin vor Ort, die zwar mitunter etwas genervt wirkte, uns aber drei hoch spannende Tage mitbeschert hat.