„Vom Obrigkeitsstaat zur Mitmachdemokratie“

Passend zur in München gerade wieder aufkommenden Diskussion über eine Informationsfreiheitssatzung fand im bayerischen Landtag am 9. Juli 2010 ein Diskussionspanel rund um Informationsfreiheitsrechte statt. Ausgerichtet wurde es von der grünen Landtagsabgeordneten Susanna Tausendfreund, es war aber mit Thomas Petri (Landesbeauftragter für Datenschutz), Josef Schmid (Vorsitzender der Münchner CSU-Fraktion), Peter Kveton (Journalist), Florian Roth (Münchner Grünen-Fraktion) und als Moderatorin Heike Mayer (Transparency International) überparteilich besetzt. Im Publikum waren etwa 40 Besucher, davon auffallend viele KommunalpolitikerInnen aus (im Vergleich zu München) kleineren Gemeinden.

Zuerst stellte Susanna Tausendfreund die grundsätzliche Problematik rund um die Informationsfreiheitsrechte vor. Allein in dieser Legislaturperiode wurden im CSU/FDP-dominierten Landtag bereits zwei Anträge auf Informationsfreiheitsgesetze abgelehnt (einer der SPD, einer der Grünen), ein weiterer der Freien Wähler werde gerade diskutiert. So lange es kein Gesetz dazu gibt, können einzelne Städte hier die Vorreiterrolle übernehmen und sich selbst entsprechende Satzungen auferlegen – eine Reihe von bayerischen Städten hat das bereits getan. Dabei fällt auf, dass die Initiative dazu von ganz unterschiedlichen Parteien ausgeht. Sie selbst hat Erfahrungen in Pullach damit gemacht, wo seit März 2009 eine solche Satzung gilt, mit ermutigenden Ergebnissen: die Behörden werden keinesfalls, wie oft befürchtet wird, mit Anfragen überhäuft. Allerdings gab es wohl Streitereien darüber, inwieweit die Satzungen auch für die kommunalen Betriebe gelte.

Dr. Thomas Petri konnte von seinen Erfahrungen in Berlin berichten: dort gibt es ein Informationsfreiheitsgesetz schon länger, das ganze habe sich schon gut eingespielt. Es gibt mit etwa 2000 Bürgeranfragen pro Jahr durchaus eine signifikante Anzahl an Anfragen, die aber auch noch tragbar sind. Beispiele für solche Anfragen: eine Familie erkundigt sich nach den Ergebnissen einer Asbest-Studie über ein Schulgebäude, in welches das Kind möglicherweise gehen soll; eine auf einem Gehweg verunglückte Bürgerin will wissen, ob bei der letzten Sicherheitsprüfung des Gehwegs alles mit rechten Dingen zugegangen ist; oder auch Anfragen nach den Privilegien von Landtagsabgeordneten.

Petri vertrat in seiner Position als Landesdatenschutzbeauftragter im weiteren Diskussionsverlauf die Datenschutzseite: Protokolle von Sitzungen oder gar Live-Übertragungen seien nur zulässig, wenn die betroffenen Stadträte dem zustimmen. Hier wird die kommunale Ebene gesetzlich anders gehandhabt als die Länder- und Bundesebene, da in den meisten Kommunen die Kommunalpolitik von rein Ehrenamtlichen erledigt wird. Zu beachten ist auch, dass in Stadtratssitzungen häufig über einzelne Firmen oder Privatpersonen gesprochen werde, was aus Datenschutzgründen dann nicht veröffentlicht werden dürfe. Der Einwand, dass eventuell unpässliche Äußerungen ihren Skandalcharakter gar nicht über das Protokoll entfalten bräuchten, da in den Vorderen Reihen der Sitzungen ohnehin bereits die Zeitungsreporter säßen, ändert an der rechtlichen Bewertung wohl nichts – hier müssten also andere gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Andererseits wurde angemerkt, dass kritische Tagesordnungspunkte ohnehin bereits in nicht-öffentlichen Sitzungen behandelt werden und einer Veröffentlichung der Protokolle öffentlicher Sitzungen unter diesem Gesichtspunkt nichts im Wege stehen sollte.

Peter Kveton, Mitglied des „Nerzwerk Recherche“ zur Förderung des investigativen Journalismuses, stellte die Sicht eines Journalisten auf das Thema dar. Er selbst hatte damit bereits in einem recht Aufsehen erregenden Fall zu tun, der „Olympiamark-Affäre (bei der sich die rot-grüne Stadtregierung wohl nicht gerade mit Ruhm bekleckerte). Auch in anderen Fällen, wenn beispielsweise die Landesregierung behaupte, endlich ein perfektes Transrapid-Sicherheitskonzept zu haben, ist es für Journalisten äußerst wichtig, das Konzept sehen um es dann auch beurteilen zu können.

Dr. Florian Roth gab einen Überblick über die Situation in München. Hier zieht sich das ganze ja auf nicht ganz nachvollziehbare Weise ziemlich hin. Im März diesen Jahres wurde es vertagt, um zunächst die Erfahrungen anderer bayerischer Gemeinden zu evaluieren; zum neuen Termin wurde es dann erneut vertagt, da noch nicht alle Antworten eingegangen seien. Es soll aber im Herbst endlich entschieden werden. Es klang so, als ginge es im Prinzip nur noch darum, nach Möglichkeit eine möglichst einstimmige Entscheidung aller relevanten Parteien zu bekommen; mit CSU, Grünen und FDP gebe es so oder so eine Mehrheit. Roth versicherte bei der Gelegenheit, die Zustimmung der Fraktion Die Grünen/rosa liste hinge nicht vom Koalitionspartner SPD ab.

Joseph Schmid stellte seine Sicht als CSU-Fraktionsvorsitzender dar und versuchte vor allem, die Sicht auf die CSU als monolithischen Block zu relativieren – auch in der CSU gebe es Lernprozesse, und er habe sich auch schon häufiger für Informationsfreiheit eingesetzt, beispielsweise als es um den Ausbau des RIS-Systems ging.

In der anschließenden Publikumsdiskussion wurden einige sehr interessante Punkte genannt:

  • Es gab bereits um die 70 Versuche in Bayern, Informationsfreiheitssatzungen zu installieren. Davon wurden 90% abgelehnt.
  • Städtische Betriebe stellen ein strukturelles Problem dar, eine „Flucht ins Privatrecht“. Sie obliegen nicht hinreichend der öffentlichen Kontrolle. In München gebe es über hundert kommunale Betriebe, die von gerade mal 80 Stadträten kontrolliert werden sollen. In einigen Fällen kommunaler Betriebe wurde wohl aus dem Aktiengesellschafts-Recht hergeleitet, dass das Firmen-Wohl vor dem Eigentümer-Wohl steht, was bei kommunalen Betrieben natürlich abwegig ist.
  • Ein Problem stellen auch geheime Verträge von Institutionen dar – es gebe welche, wo nicht nur der Inhalt geheim ist, sondern auch deren Existenz. Als Beispiel wurde das Abkommen zwischen der Staatsbibliothek und Google über die Digitalisierung des Bücherbestands genannt. In Berlin wurden solche Verträge untersagt, allerdings nur „grundsätzlich“, was wohl noch Schlupflöcher offen lässt.
  • Mehrere Gemeinderäte im Publikum ätzten gegen die aktuelle Situation, dass sie über ein Informationsfreiheitsgesetz schon allein deswegen froh seien, weil sie dann endlich auch mal selbst Akteneinsicht bekommen würden. Ein Besucher mutmaßte in diesem Zusammenhang auch, dass es gar keinen so großen Konflikt zwischen Bürgern und dem Staat an sich gebe, sondern vielmehr mit der Exekutive auf der ein und der Legislative und den Bürgern auf der anderen Seite.

Zum Schluss der Diskussion lud Heike Meyer Josef Schmid noch ein, die CSU könne doch nach den Grünen, der ÖDP und den Piraten auch dem Bündnis Informationsfreiheit in Bayern beitreten – eine nette Geste.

Im Anschluss an die Veranstaltung gab es noch ein Buffet, das ich einfach gesondert erwähnen muss, weil es wirklich sehr lecker war. 🙂

Bericht: „Spiel ohne Grenzen – Wenn Computer und Internet süchtig machen“

Am 6. Juli fand im bayerischen Landtag bei Ulrike Gote wieder ein Gespräch über Medienpolitik statt, diesmal über Internet- und insbesondere Computerspielsucht. Es diskutierten der Facharzt Oliver Pogarell, Christoph Hirte von „Aktiv gegen Mediensucht e.V.“ und Hendrik Lesser vom „Videospielkultur e.V.“ – und auch wieder viele der etwa 25 BesucherInnen.

Dr. Med. Oliver Pogarell stellte die aktuelle medizinische Perspektive auf Computerspielsucht dar. Im Gegensatz zu stoffgebundenen Süchten mit klar definierten Krankheitsbildern (besonders verbreitet: Alkoholsucht) ist die Computersucht medizinisch noch nicht klar verortet – also ob es sich dabei um eine Zwangsstörung handelt, eine Impulskontrollstörung, eine klassische Sucht, oder ein komorbides Symptom einer anderen zugrunde liegenden Störung. Sie ist meistens auf einen der drei folgenden Bereiche ausgerichtet: Cybersexualität, Exzessives Messaging oder Onlinespiele (zumeist Rollenspiele). Die Studien zur Verbreitung von Computersucht kommen zu unterschiedlichen Zahlen, von 1,8%-8,2% aller Jugendlichen – so oder so sind das extrem hohe Zahlen, was das Thema zumindest meiner Meinung nach sehr viel akuter macht als im Vergleich dazu eher aufgebauschte Gewaltspiel-Debatten. In 78% der Fälle kommen laut Pogarell noch weitere Probleme dazu, wie Alkoholmissbrauch, Depressionen oder Konzentrationsstörungen. Über die Kausalität wisse man allerdings noch nicht ausreichend Bescheid. Auch was die Behandlung angeht, steht die Forschung noch am Anfang: man könne sich zwar an anderen Krankheitsbildern orientieren, es gebe aber noch keine medizinisch bewiesene Therapien.

Im Anschluss an den Vortrag diskutierte man noch kurz darüber, inwieweit eine auftretende Computerspielsucht eher durch persönliche Prädisposition oder vielmehr durch Suchtfaktoren des jeweiligen Spiels bedingt seien bzw. inwieweit letztere überhaupt schon identifiziert sind (es klang eher noch so, als ob).

Nach diesem eher wissenschaftlich orientierten Teil berichtete Christoph Hirte als betroffenes Elternteil und als Initiator des Selbsthilfeportals Rollenspielsucht. Er schilderte anschaulich und eindringlich am Beispiel seines Sohns („Wir hatten unseren Sohn ans Internet, an World of Warcraft“ verloren.“), welche verheerenden Folgen Computerspielsucht haben kann, sowohl für den Betroffenen selbst als auch für die Familien, die damit meist völlig überfordert sind und sich aus Scham meist nicht oder erst zu spät trauen, Hilfe aufzusuchen. Er erzählte von oben genanntem Selbsthilfeportal und vom „Aktiv gegen Mediensucht e.V.“, dessen Vorsitzender er ist.

Auf mich persönlich machte sein Vortrag einen teils etwas zwiespältigen Eindruck. Während seine eben genannten Aktionen, Bündnisse und Vereine sicher äußerst wertvoll sind, griff er während dem Vortrag mit der Zeit immer tiefer in die Polemik-Trickkiste um seine anschließenden politischen Forderungen herzuleiten. Eine Aussage wie „Im Internet gibt es keinerlei Kinder- und Jugendschutz“ ist genauso weltfremd wie der berühmte „Rechtsfreie Raum Internet“ – und wurde kurz darauf auch von einer Mitarbeiterin der KJM, die sich im Publikum befand, richtig gestellt. Mehrfach verglich er noch Videospiele mit Zigaretten, und medienkompetent sei genau der, der „selbstbestimmt den Ausschaltknopf findet“. Anschließend stellte er einen Forderungskatalog auf, auf dem sinnvolle Maßnahmen wie der Ausbau von Therapieplätzen, mehr Planstellen an den Suchtberatungsstellen und der Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für die Problematik, Unterstützung für Projekte wie z.B. „Logout“ in Rosenheim standen, genauso wie Maßnahmen, die vielleicht noch einmal genauer durchdacht werden müssten, wie z.B. der Schaffung einer eigenen „Computerspielsteuer“.

Als dritter und letzter Referent kam Hendrik Lesser vom „Videospielkultur e.V.“ an die Reihe. Er betonte dabei einerseits, dass bei allen berechtigten Sorgen vor den Folgen der Computerspielsucht nicht übersehen werden sollte, dass Spiele sowohl als Kultur- als Wirtschaftsgut eine wichtige und positive Rolle in der Gesellschaft spielen. Andererseits erzählte er von den praktischen Problemen, mit denen sich der Jugendschutz häufig konfrontiert sieht, zu dem er sich aber auch ganz klar bekannte. So gäbe es beispielsweise größere Kompetenzprobleme zwischen der USK und der KJM hinsichtlich offline gekauften, dann aber online gespielten Videospielen. Zu einem späteren Zeitpunkt führte er außerdem aus, dass sich die Geschäftsmodelle der Onlinespiele stark im Wandel befinden: Spiele wie WoW mit einem Kaufpreis und monatlichen Gebühren sind mehr oder weniger bereits Auslaufmodelle, die Zukunft gehörten Spielen, die in der Basis-Version kostenlos zu spielen seien und erst in der Premiumversion Geld kosten. Schließlich merkte er auch an, dass es auch schwierig sei, ein Verbot von Spielen wie WoW für Kinder/Jugendliche rechtzufertigen; grundsätzlich jedes Spiel ziele auf den „Flow“-Effekt beim Spieler ab, und WoW sei darin nur besonders gut.

Mit der letzten These mutete er einigen im Publikum wohl etwas zu viel zu – hier gab es lautstarke Proteste dagegen, dem ganz offensichtlich regelrecht gehassten WoW auch nur irgendetwas, wenn auch nur abstrakt Positives zuzusprechen. Etwas vereinfacht ist die These aber sicher auch – es gibt ja durchaus bestimmte Elemente im Gamedesign, die offenbar dazu beitragen, häufiger Gegenstand einer Sucht zu werden. Beispielsweise persistente Spielewelten, die in Echtzeit ablaufen, kein Ende nehmen und bestimmte Belohnungssysteme besitzen.

Wie man mit solchen Spielen umgehen kann, wurde im weiteren Verlauf des Abends noch weiter diskutiert. Von den Eltern wurden klare Warnhinweise auf den Spielen gewünscht, gerade zum Suchtpotenzial. Der Vorschlag, bei Kindern und Jugendlichen seitens des Spiels Zeitlimits einzubauen, wurde in seiner tatsächlichen Wirkung eher kritisch beäugt. Scharf kritisiert wurde eine Aussage, Anliegen der Eltern müsse vorrangig sein, dem Kind eine angenehme Umgebung zu schaffen, dass es gar nicht erst in eine Sucht hinein gerate: gerade durch solche Aussagen würde das Gefühl geschürt, Computerspielsucht sei auf ein Versagen der Eltern zurückzuführen, was diese davon abhalte, Hilfe aufzusuchen. Ulrike Gote wies darauf hin, dass auch die Einführung einer Ganztagsschule präventiven Charakter haben könne. Außerdem sah sie wohl die Möglichkeit im neuen JMStV, Jugendschutzprogramme zu entwickeln, als recht positiv an.

Bericht von der SIGINT10

Das erste, was mir an der SigInt auffiel, war die Größe: es war zwar klar, dass sie kleiner würde als der ebenfalls vom Chaos Computer Club organisierte Congress, aber das klein-familiäre Flair überraschte mich dann doch. Einmal abgesehen davon, dass dadurch mangels Repräsentativität nie so das „Wir Hacker“-Gefühl aufkam wie beim Congress (man denke nur an den großartigen WikiLeaks-Vortrag), hatte das aber mehr Vor- als Nachteile: man kam leichter miteinander ins Gespräch, besonders auch mit den Referenten (manchmal machte es fast den Eindruck, als seien mehr Referenten als Nur-Besucher anwesend), es gab keine überfüllten Säle und keine Ticketknappheit.

Die Auswahl der Vorträge war recht gut gelungen – eine gute Mischung aus technischen und netzpolitischen Vorträgen, Diskussionspanels, abgespacter Betrachtungen und Rants.

1. Tag

Michael „mspro“ Seelmann eröffnete den ersten Tag mit einer Keynote über Netzneutralität, wobei es weniger um die aktuell geführte Debatte ging als viel mehr um die grundsätzliche Idee hinter Netzneutralität – respektive dem Paradoxon, dass letztlich einer Regulierung des Netzes durch die ISPs eben wiederum durch Regulierung vorgebeugt werden soll. Er weitete die Idee, ausgehend vom OSI-Schichtenmodell auf verschiedene andere Bereiche aus: auf höhere Schichten, die auf der Schicht 7 (insb. HTTP) aufbauen, andererseits auf Schichten unterhalb der Hardwareschicht, die er als ökonomisch-soziale Schichten bezeichnete. Die Überlegungen sind einerseits ein recht interessantes Gedankenspiel – andererseits ist es dann eventuell doch etwas übertrieben, aus der Netzneutralität die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, einen Demokratisierungsprozess in Farmville und das bedingungslose Grundeinkommen abzuleiten…

Malte Spitz und Simon Edwin Dittrich hielten anschließend einen Vortrag über die Kulturflatrate. Vieles war mir freilich schon bekannt, besonders aus ihrem gemeinsamen Artikel zum selben Thema im copy.right.now-Reader. Etwas konkreter wurde es immerhin zur Erfassung des tatsächlichen Medienkonsums, welche ja immer noch eines der großen Probleme der Kulturflatrate ist. Ihrer Meinung nach soll die Mediennutzung durch eine Kombination verschiedener Messmethoden erfasst werden: ein klassisches repräsentatives Nutzerpanel, das aber größer als bei der Erfassung der Fernsehnutzung sein müsste, ergänzt durch durch Umfragen von Forschungsinstituten und der Auswertungen von Logfiles.

In „Praktische Anti-Zensur“ stellte Scusi erst verschiedene Möglichkeiten der Internetzensur vor – DNS-Sperren, IP-Sperren, Routing-basierte Sperren, Zwangsproxys und hybride Verfahren. Dann ging es um Möglichkeiten, diese zu umgehen, was auch jeder im Raum dann auch gleich testen konnte (zumindest solang die Technik mitspielte). Im Fall der DNS-Sperren reicht bekanntermaßen der Eintrag eines zensurfreien Nameservers wie z.B. die beiden Google-Nameserver 8.8.8.8 oder 8.8.4.4. Für andere Sperren eignen sich Tunnels, VPNs, Anonymisierungsdienste wie Tor oder Anonymisierungs-Proxys wie bei ixQuick.com. Auch Dienste wie lowband und Google Translate lassen sich dafür benutzen. Schließlich gibt es noch obskurere Umgehungsmöglichkeit wie web2email-Dienste oder das Tunneling von HTTP über DNS-Anfragen.

Wieder sehr eigen war der Vortrag von Christian Heller, dessen spritzig-provokanten Thesen zum Datenschutz ich auf dem Politcamp schon recht anregend fand. Diesmal ging es um die „Identitäts-Kriege – vom Ende Menschlicher Gesellschaftsform“. Ich traue mich an dieser Stelle gar nicht, diese epischen Gedankengänge, angefangen von der Ursuppe, über sexuelle Identitätsprobleme, Festlegungsprozesse normativer Gruppeneigenschaften, Ressourcenkämpfe um Identitätsrollen, amorphe Netzwolken, Bürgerrechte für Clippy hin zu einer neuen Informations-Ursuppe wiedergeben zu versuchen und verweise daher nur auf die sicher bald folgende Videoaufzeichnung.

Der für mich spannendste Vortrag des ersten Tages war „The Fine Art of Hari Kari (.JS)“, in dem sich Dan Kaminsky ausgiebig und in recht deutlichen Worten über die Sicherheit von Webanwendungen ausließ – insbesondere auch darüber, warum es Webentwicklern nach wie vor so schwer gemacht wird, sichere Webanwendungen zu schreiben. Sehr ausführlich legte er dar, dass das Absichern von Web-Anwendungen gegen XSS- und XSRF-Attacken immer noch ein ungelöstes Problem ist und auch noch kein neuer wirksamer Mechanismus dagegen in Sicht ist. Schließlich stellte er noch Ideen vor, XML, JSON und SQL-Statements zukünftig gegen Injections zu schützen, wobei er es auch hier sichtlich genoss, gegen Unicode, Prepared Statements und überhaupt gegen so ziemlich alles mitunter recht derb zu schießen.

2. Tag

Der zweite Tag wurde mit einer Keynote von Nick Farr eröffnet, einem amerikanischen Hacker, der in Washington im Finanz-Bereich arbeitet. Unter dem Motto „Yes We Could: Hackers in Government“ erklärte er, warum seiner Meinung nach Hacker an der Regierung eine große Besserung gegenüber der normalen Politiker-Kaste darstellen würde. Die wesentliche Behauptung dabei war, dass Hacker Probleme offener ansprechen würden und generell mehr Wert darauf legten, ein defektes System zu reparieren als unbedingt möglichst viel Macht anzusammeln.

Ein sehr ansprechender Vortrag folgte von RA Udo Vetter (vom Lawblog) über die Strafverfolgung im Netz. Mit reichlich Anekdoten und einer guten Prise Rechtsanwaltshumor versehen berichtete er zunächst, wie die Strafverfolgung seitens der Polizei in der Praxis aussieht (die meisten Polizisten hätten beabsichtigterweise nicht standardmäßig Zugriff auf einen internetfähigen PC), welche Ermittlungsformen es gibt (normale Strafanzeige, Onlinewache; anlassunabhängig nur seitens der LKAs / des BKAs) und welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen (die IP-Adresse spielt nach wie vor eine wichtige Rolle; allein die Tatsache, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung beklagt werde, zeige, dass diese großteils fast schon rechtsmissbräuchlich eingesetzt wurde). Nach einigen Beschwerden über das Vorgehen von jugendschutz.net ging er zum Thema Hausdurchsuchung über, die wohl nach wie vor auch bei kleineren Delikten recht häufig eingesetzt werde. Hierzu gab er einige wichtige Tipps zur Vorsorge und zum Verhalten während einer Durchsuchung. Ich kann nur sehr empfehlen, sich einmal die Videoaufzeichnung des Vortrags anzuschauen.

Unter dem Titel „Kommunismus oder Kummunitarismus?“ folgte ein Diskussionspanel über das Urheberrecht, bei dem sowohl Kritiker als auch Verteidiger des aktuellen Prinzips diskutierten. Für die „Contentmafia“ argumentierte der Indie-Label-Vertreter Stefan Herwig und der Musiker Lukas Schneider, prominentester Kritiker war der „Pirat“ Jens Seipenbusch. Inhaltlich war das Panel nur vereinzelt ergiebig, insbesondere war die anfangs geforderte Lösungsorientierung kaum anzutreffen. Seipenbusch gab sich anfangs als kompromissbereiter, besonnener Schlichter. Aber nach einiger Kritik, er rede zwar viel aber sage wenig, respektive der süffisanten Bemerkung, die Piraten seien damit endlich wirklich in der Politik angekommen, wurde er dann doch sehr deutlich: „Kopien verkaufen ist tot“, „Künstler, schaut selbst wo ihr bleibt!“. Ein anderer Kritiker auf dem Panel formulierte das so: „Mein Lösungsvorschlag ist, nicht aufs Geld zu schauen“. Einige Zwischenrufer aus dem Publikum sahen das wohl ähnlich, insbesondere der Abmahnwahn einiger größerer Labels wurde mehrfach angesprochen. Stefan Herwig verteidigte das Urheberrecht in seinen Grundsätzen, gab aber auch zu, dass es viele Probleme mit der Transparenz gäbe, was zu vielen Vorurteilen führe. Die Labels müssten deutlicher herausstellen, welche Arbeit zur Erzeugung von Musik, Filmen, aber auch Zeitungen erledigt werden müsse und wie die Erlössituation tatsächlich aussehe. Gern werde übersehen, , dass ein Großteil der Musik-Veröffentlichung von den über tausend Indie-Labels und nicht den Majors ausgehe, und dass die Umsätze über Live-Auftritte gerade für die weniger großen Bands eben nicht gestiegen seien, wie dies oft behauptet werde. Musiker Lukas Schneider betonte, dass nur wenige Musiker und kleinere Labels ein Interesse an ganzen Abmahnungen hätten, er auch nichts gegen Remixes wie AMVs basierend auf seinen Werken habe, er aber auch für eine „Kultur des vorher Fragens“ sei.

Nach dieser Veranstaltung wollte ich mir ursprünglich noch das Diskussionspanel „Women and Geek Culture“ geben, da das Thema bei uns ja zurzeit gerade im Zusammenhang mit der Piratenpartei recht kontrovers diskutiert wird. Irgendwie schaffte mich die erste Hälfte des Panels aber nicht so recht zu interessieren, weswegen ich dann zum parallel stattfindenden Vortrag „The road to hell is paved with best practices“ ging. Über Twitter wurde das Gender-Panel zum Teil recht beißend kommentiert, was auch kein sonderlich gutes Bild auf ein paar Leute wirft – wobei der Konsens momentan wohl eher auf „Ich glaube, dass wir kein Genderproblem, sondern ein „Umgang-mit-Menschen“-Problem haben.“ hinausläuft.

Einen recht streitbaren Vortrag hielt Manuel Barkhau über „Imaginäres Eigentum“, in dem er versuchte, auf rein logischen Ableitungen basierend zu beweisen, warum es geistiges Eigentum nicht geben könne. Diese Vorgehensweise ist sicher recht interessant, und vielleicht lag meine Unfähigkeit, im Präsentierten eine wirklich logische Vorgehensweise zu erkennen auch darin begründet, dass nicht genügend Zeit zur Ausführung aller Gedanken blieb. Nichtsdestotrotz waren mir in dieser Form zu viele unbewiesene und implizite Prämissen vorhanden und zu viele Argumente liefen nach dem „There is no Alternative“-Prinzip (wenn alle anderen Schlussfolgerungen zu einem Paradoxon führen ist diese eine automatisch richtig), als dass ich einen wirklichen Erkenntnisgewinn aus dem Vortrag ziehen hätte können. Der Vollständigkeit halber füge ich aber an, dass das einige andere im Publikum auch ganz anders sahen als ich.

Zum Abschluss des zweiten Tages gab ich mir noch den wirklich genialen Rant „Reach Out and Touch Face – A rant about failing“ von Johannes Grenzfurthner. Der ein wenig an Powerpoint-Karaoke erinnernde Vortrag ging um das subversive Elemente der Technikverweigerung von DAUs sowie um die Entfremdung Hollywoods von der neuen Computer-Wirklichkeit. Höhepunkt des Vortrags – und des gesamten Tages – war dann ein Hacker-Massenkaraoke zum 70er-Jahre-Song „Good old Hollywood is Dying“. Hoch emotional und ähnlich schräg wie das Massenkaraoke zu „Hubba Hubba Zoot Zoot“ auf der Connichi 2002.

3. Tag

Der dritte Tag begann mit einer Keynote von Andreas Bogk (CCC), in der er verschiedene aktuelle netzpolitische Themen kommentierte. Bei der Diskussion um die Netzneutralität sah er ein völliges Verbot von Paketpriorisierung als nicht der technischen Wirklichkeit entsprechend: gerade QoS, z.B. bei VoIP müsse weiterhin möglich sein, was auch im Interesse der Nutzer sei. Den Jugendmedienstaatsvertrag sah er als kaum mehr aufhaltbar, betonte aber, dass hier die Proteste dazu beigetragen hätten, den Entwurf zu entschärfen. Und da viele Teile recht schwammig und unklar formuliert sind bleibe zumindest eine gewisse Chance, dass es nicht so schlimm kommt wie befürchtet. Während sich die Netzcommunity auf Bundesebene offenbar bereits recht gut durchsetzen könne (siehe das Internetzensurgesetz), fehle es auf Länderebene offensichtlich also noch an Kampagnenfähigkeit. Ebenfalls müsse man die Kampagnenfähigkeit auf europäischer Ebene verbessern um zu verhindern, dass die Internetzensur nun über diesen Umweg eingeführt werden könne, wie dies derzeit versucht wird. Als weiteres aktuelles Thema kommentierte er die Kulturflatrate – statt der Kulturflatrate solle man sich doch lieber gleich um ein Bedingungsloses Grundeinkommen kümmern. Mit einer kurzen Kritik am Umgang der Piratenpartei mit der Gender-Debatte schloss er schließlich ab.

Technisch recht interessant war der Vortrag „Anonymous Internet – Communication Done Right“, bei dem diverse Möglichkeiten der Zuordnung von Webseitenaufrufen zu konkreten Nutzern vorgestellt wurden, sowie Möglichkeiten, nichtsdestotrotz anonym zu surfen. Der Referent ging insbesondere auf das Anonymisierungsnetzwerk Tor ein, das seiner Meinung nach aber zu diesem Zweck recht überbewertet sei: als Beobachter ließen sich durch Paket-Fingerprinting etwa 80% der real in Tor vorkommenden HTTP-Aufrufe den korrekten Seiten zuordnen, die Exit-Nodes können den Traffic mitlesen (sofern dieser nicht zusätzlich durch SSL verschlüsselt ist) und der Seitenbetreiber könne allein anhand der HTTP-Header eine recht sichere Zuordnung zu vorangegangenen Aufrufen ohne Tor machen (sofern es diese gab). Daneben decke Tor auch keine DNS-Auflösung ab und sei anfällig für Konfigurationsfehler. Andere Systeme als Tor seien entweder wenig besser oder schrecklich unzuverlässig und langsam. Er stellte einige Maßnahmen zur Sicherung der Anonymität vor, darunter die Nutzung einer dedizierten Tor-VM oder schlicht und ergreifend die Nutzung eines Internetcafes. Außerdem gebe es esoterische Maßnahmen wie die anonyme Kommunikation mit einem Dritten über PGP-verschlüsselte Nachrichten in Newsgroups wie alt.anonymous.messages, oder uach Steganografie in Bildern – idealerweise in selbst erstellten Porn-Dateien, um dem Empfänger ein Maximum an Deniability zu ermöglichen.

Äußerst gelungen war das Diskussionspanel „Computer.Spiele.Politik“, das sich über zwei Stunden erstreckte. Hier diskutierten Bastian Dietz (ein Pädagoge, der bereits auf dem letzen Chaos Computer Congress einen sehr sehenswerten Vortrag über dieses Thema hielt), Ibrahim Mazari (Electronic Sports League), der Spieleentwickler Krystian Majewstki und der Journalist Max von Malotki. Kernfragen waren, inwieweit Computerspiele bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien (der Konsens war hier, dass ja), wie die Politik damit umgeht, was von den immer wiederkehrenden „Killerspiel“-Debatten zu halten sei und wie sich diese auf die Spiele-Community und -industrie auswirken. Der ungefähre Konsens war dabei, dass der Aspekt der Spielesucht generell der wichtigere sei, von der Überbetonung der Gewaltdiskussion – die fast ausschließlich in Deutschland, fast gar nicht in anderen Ländern stattfinde – verdrängt wäre. Mazari forderte, dass sich die seriöse Medienwirkungsforschung stärker an die Öffentlichkeit wenden sollte, damit nicht immer wieder Politiker und Öffentlichkeit „dem Pfeifer auf den Leim gehen“. Gleichsam betonte er, dass er durchaus daran glaube, dass Medienkonsum Auswirkungen habe, die es zu erforschen gelte, und auch hinter dem deutschen Jugendschutz-System stehe, das dann aber nicht durch politischen Aktivismus unterlaufen werden solle (Counterstrike-Verbot). Dietz betonte, dass jüngere Politiker bei allen Parteien aufgeschlossener gegenüber dem Thema sind und er diesbezüglich auch bei der CSU positive Erfahrungen gemacht habe. Direkt an den Landtagen gebe es zum einen gute Aufklärungsaktionen, die auch viel dazu beitragen, Politikern Spiele näherzubringen, andererseits gebe es auch Anhörungen, die „den Unterhaltungswert des Heise-Forums“ habe. Ein inhärentes Problem sei aber, dass Videospieler eine deutlich schwächere Lobby aufbauen könnten, da ein großer Teil der Betroffenen noch nicht wählen könne. Das äußere sich auch auf vielen anderen Gebieten, z.B. dem Sonnenbankverbot für Jugendliche. Das Suchtproblem sei ernst zu nehmen, aber auch nicht überzudramatisieren: während es zwar noch keine belastbaren Zahlen gäbe (unseriöse dafür umso mehr), dürfte die Anteil der Betroffenen in ähnlichen Dimensionen wie bei anderen nicht-stoffgebundenen Suchten sein (1,8 – 3%). Alle Diskussionsteilnehmer waren sich auch einig darüber, dass die Chancen von Spielen stärker thematisiert werden sollten, auch hinsichtlich der „Serious games“. Aber auch erzieherisch gemeinte Spiele sollten auch einen spielerischen Anspruch haben und nicht „den Charme von Socken-Sortieren in der Kommode“ haben.

In mehreren Vorträgen ging es um Überwachung und Zensur in Europa:

  • In „(Dis-)connected World“ sprach Christian Bahls (vom MOGiS-Verein) über die Hintergründe der neuen europäischen Initiative für Netzsperre und wie man sich möglichst effektiv dagegen mobilisieren kann.
  • Es folgte ein Vortrag über INDECT, ein europäisches Forschungsprojekt zur lückenlosen Überwachung städtischer Gebiete, bei dem insbesondere auch Überwachungs-Drohnen, automatische Internet-Überwachungs-Tools und Heuristiken für „abormales Verhalten“ zum Einsatz kommen sollen.
  • In „Das Leben der anderen“ versuchte die frühere MI5-Mitarbeiterin Annie Machon, die sich nach einigen Skandale um den britischen Geheimdienst als Whistleblowerin einen Namen machte (Buchveröffentlichung; CCC-Vortrag), die Eigenschaften eines Polizeistaats zu systematisieren und zu analysieren, inwieweit gerade ihr Heimatland Großbritannien schon diesen Kriterien genügt – ihrer Meinung nach schon erschreckend weit gehend.

Gegendemonstration zum Nazi-Aufmarsch am 8. Mai

Ich hatte mich durch einen Aufruf der Münchner Grünen recht spontan dazu entschlossen, heute beim „München ist Bunt“-Festival vorbeizuschauen – einer vom Stadtviertel Fürstenried-West organisierte Gegenveranstaltung zum angekündigten Neonazi-Aufmarsch zum Gedenken des 8. Mai 1945. Es war also zum einen Teil eine klassische Gegendemonstration, zum anderen Teil eine Kulturveranstaltung, bei der Kinder nahöstlich angehauchte Tänze vorführten, eine Blaskapelle spielten und eine jugendliche Band rockte – und einige lokale Politik-Größen (Ude sowie seine Vor- und Vor-Vorgänger) Reden für Toleranz und für das Gedenken an die damalige Befreiung vom Nationalsozialismus hielten. Recht viele Parteien waren anwesend und zeigten durch Fahnen Präsenz, von der den Grünen über SPD und der Linke hin zur DKP, auch die Gewerkschaften wie ver.di.

Für mich war die Demo insofern ein Novum, als dass ich erstmals auch selbst „parteilich“ unterwegs war, also nach einem Treffen im Grünen-Stadtbüro mit Fahne, Buttons usw. ausgestattet war. Wobei so ziemlich der einzige merkbare Unterschied zu sonst der war, dass man dank Fahnen die eigenen Bekannten leichter wiederfindet. Dafür hat es sich so ergeben, dass ich großteils mit einer Gruppe von der Grünen Jugend unterwegs war, und das hatte dann doch seine eigene Dynamik.

Die ganze Gegendemonstration befand sich entlang der geplanten Marschroute, die wie abzusehen von einer Hundertschaft an Polizisten abgeriegelt war. Recht früh waren einige Gegendemonstranten – vornehmlich welche vom Schwarzen Block – auf die abgeriegelten Straße gekommen, um dort eine Sitzblockade zu veranstalten. Die Polizei unternahm zwar nichts, um sie dort zu verscheuchen, ging dann aber schon sehr bestimmt gegen die Versuche Weiterer vor, auf die Straße zu kommen: direkt vor mir versuchte es einer – wurde recht unsanft gepackt (für Münchner Verhältnisse; in Berlin hätte das sicher nochmal anders ausgesehen) – ein halbes Dutzend Bekannte (mutmaßlich ebenfalls vom Schwarzen Block) kamen zu Hilfe – zwei Dutzend zusätzliche Polizisten kamen zur Hilfe – die ganze Lage schien innerhalb von etwa einer halben Minute zu eskalieren, beruhigte sich dann aber ebenso schnell wieder. Es war auf alle Fälle interessant zu sehen, wie schnell solche Situationen eskalieren können. Ich beneide die Polizisten zumindest nicht um die Aufgabe.

Aber es gab noch einen anderen Weg hinter die Wegsperren, bei dem man die Sperre weitläufig durch einen 400m-Wald-Trampelpfad durchs Dickicht hin zu einer ungesicherten Straßenstelle umgehen konnte. Unter anderem eine Gruppe aus dem Umfeld der Grünen Jugend schaffte es so, zur Blockade aufzuschließen – zwar vorbei an ein paar Polizisten, die das zwar eigentlich verhindern wollten oder zumindest sollten, dabei aber schon betont wenig Eifer zeigten. Nachdem die Zahl der Leute auf der Straße dank des Waldwegs recht schnell anwuchs, entschloss sich die Polizei wohl irgendwann, den Weg als nicht mehr räumbar und damit nicht passierbar zu deklarieren. Es lief also darauf hinaus, dass der Aufmarsch nicht bis zum Ende durchgezogen werden konnte und die Abschlusskundgebung entfallen musste – für die Gegendemonstranten gewissermaßen das „Gewonnen“-Szenario. (Und in der Gesamtsituation kann man wohl auch vermuten, dass das der Polizei auch gar nicht so unrecht war.)

Der Nazi-Aufmarsch selbst war dann an sich unspektakulär: etwa 50-70 Neonazis, die wohl den gefallenen Soldaten und der Niederlage gedachten, dabei von 3000-5000 Gegendemonstranten (je nach Zählung) ausgebuht wurden, und sich dann beim Heimweg per (polizeilich abgeriegelter) U-Bahn wohl (laut Abendzeitung) auch noch Anlass gegeben haben müssen, sie in Gewahrsam zu nehmen.

Es gibt ja immer das Argument, dass man mit Gegendemonstrationen solchen Leuten unnötig viel Aufmerksamkeit beschaffe. Andererseits wäre es eben ein recht fatales Zeichen, sie machen zu lassen ohne dass sich jemand daran (sichtbar) stört. Und gerade die Verbindung mit einem kleinen Kulturfest und einer eigenen Gedenkfeier machte die Aktion schon sehr lohnenswert.

PolitCamp 2010

Es war für mich eine recht spontane Entscheidung, das PolitCamp zu besuchen. Ich hatte ohnehin vor, am Freitag (19. März) die Leipziger Buchmesse zu besuchen, um mich mit einigen Bekannten zu treffen. Erst am Dienstag zuvor bemerkte ich dann, dass das PolitCamp ja passenderweise am darauffolgenden Samstag und Sonntag war, und mit Berlin auch nur einen Katzensprung entfernt.

Leipziger Buchmesse

Die Leipziger Buchmesse hat sich aus meiner Sicht klar gelohnt; feste Termine hatte ich mit Michael Wache (Anime on Demand) und Yasuko Sakaedani (Japanische Botschaft), mit denen ich mich ohnehin immer sehr gut verstehe, außerdem nette Gespräche mit Myriam von den Fireangels, Mille vom Schwarzen Turm und ein kurzes Begutachten des e-Book-Readers txtr. Der Animexx-Stand gab optisch richtig viel her – da ich ja selbst nicht an der Planung und Durchführung beteiligt war, darf ich das hoffentlich sagen, ohne des Eigenlobs bezichtigt zu werden. 🙂

Politcamp

Aber jetzt zum eigentlichen Thema: das PolitCamp, das unter dem Motto „Politik trifft Web 2.0“ lief und zum zweiten Mal stattfand.

Von der Organisationsform war ich zugegebenermaßen etwas überrascht: ich kannte aus diesem Themengebiet bis jetzt fast ausschließlich den Chaos Computer Congress, der ein recht straff durchorganisiertes, im Vorfeld festgelegtes Programm von früh bis spät in die Nacht hat.

Das PolitCamp ist dagegen sehr stark „Bottom Up“ organisiert: ein wesentlicher Teil des Programms wurde erst auf dem Camp selbst festgelegt, einige Sessions fanden völlig spontan statt.

Das Programm verteilte sich auf fünf Räume: ein großer Saal und vier kleinere Workshop-Räume. Im großen Saal fanden vor allem jene Veranstaltungen statt, an denen die „Promis“ teilnehmen (Kristina Schröder, Franziska Heine, Konstantin v. Notz, Volker Beck, etc.; Peter Kruse war angekündigt, musste krankheitsbedingt leider absagen).

Am Anfang beider Tage fand für jeweils eine Stunde die Session-Planung statt: alle, die einen Vortrag oder Workshop halten wollen, stellten ihr Thema kurz auf der Bühne vor; anhand eines kurzen Feedbacks aus dem Publikum (Handzeichen) wurden dann anhand der zu erwartenden Besucherzahl und den technischen Anforderungen der Raum und Zeitslot zugewiesen.

Ein paar persönliche Anmerkungen zu den Vorträgen, die ich besucht habe:

Whistleblowing: Der Referent definierte Whistleblower (Personen, die interne Dokumente oder Informationen aus Firmen oder anderen Organisationen meist anonym veröffentlichen, um dadurch auf Missstände hinzuweisen; klar abzugrenzen von Denunzianten, deren Ziel es ist, sich mit der Macht zu arrangieren) und erklärte die Notwendigkeit von Whistleblowing. Einwände seitens des Publikums gab es vor allem dahingehend, dass das anonyme Publizieren auch dazu genutzt werden könne, mittels Falschinformationen gezielten Rufmord zu begehen; das sei besonders dann gefährlich, wenn die Fehlinformationen gängige Klischees und Vorurteile bedient. Außerdem ist es besonders in kleinen Arbeitseinheiten häufig nicht wirklich möglich, Dokumente anonym zu veröffentlichen.

Datenschutz als Ideologie: Dieser Vortrag empfand ich als einen der Inspirierendsten des gesamten Camps. Christian Heller stellte bewusst provozierend seine Thesen vor, warum der Datenschutz völlig überbewertet, und die Gründe der Datenschützer mitunter gar gefährlich seien („Meine Daten gehören mir“ und Konzepte wie „Digitales Vergessen“ führten implizit zu Konzepten wie „Geistiges Eigentum“ und „DRM“). Ich möchte die Thesen hier gar nicht alle wiederholen – Christian hat sie auch online veröffentlicht und den Vortrag gibt es auch als Stream im Netz (etwa ab 1:56:00). Man muss wohl nicht allen Thesen zustimmen, aber es lohnt sich, einmal diese konträre Position anzuschauen. Und es war herrlich zu sehen, wie einige im Publikum nahezu explodiert sind vor Drang, Christian zu widersprechen…

Politik trifft Web 2.0: In dieser „Elefantenrunde“ wurde das Verhältnis der (Bundes-)Politik zum Web 2.0 diskutiert. Star der Veranstaltung war freilich die „Twitter-Ministerin“ (Spiegel Online) Kristina Schröder, die Grünen waren durch Volker Beck repräsentiert, die FDP durch Müller-Sörenksen, die Linke durch Wawzyniak, außerdem diskutierten noch Martin Stadelmeier und Thomas Knüwer mit. Inhaltlich gibt es zu diesem Panel nur wenig zu  sagen – ich hatte auch nicht wirklich das Gefühl, dass die Inhalte hier irgendwen interessierten, das ganze wurde wohl vor allem als Image-Veranstaltung verstanden.

Witziges Detail am Rande: das BMFSFJ stellte gleich am Samstag noch ein Video von Schröders Auftritt auf dem Panel online. Da der Applaus in real (auf ZapLive etwa um 00:08:20 rum) wohl nicht gereicht hat, wurde anscheinend nachträglich noch etwas mehr hinzugemischt…

Diskussion zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: Auch ein Vortrag, der mir jetzt inhaltlich wenig Neues geboten hatte (was allerdings auch daran lag, dass ich den Entwurf auf der Hinfahrt einmal genauer mit der bisherigen Fassung verglichen hatte und dadurch schon etwas damit vertraut war), aber zumindest von den Positionen der Diskussionsteilnehmer her teils recht interessant. Überraschend war hier vor allem, dass CDU’ler Jarzombek den Vertrag äußerst scharf kritisierte – im besonderen das Vorgehen, Gesetze praktisch komplett unter Ausschluss der parlamentarischen Ebene zu erlassen. Außerdem bezweifelte er, dass es jemals staatlich anerkannte Jugendschutz-Programme geben könne. Stadelmeier trat als Verteidiger des JMStV auf. Seine Aussage, der JMStV habe keine Transparanz-Probleme, das Vorgehen dahinter sei vielmehr ähnlich Transparent wie bei EU-Verträgen, mochte nicht so richtig überzeugen; fairerweise muss man aber anmerken, dass zumindest ein gewisser Teil der ablehnenden Haltung des Publikums auch daher rührte, dass Stadelmeiers Argumente auch einfach nicht verstanden werden wollten.

Grünes Vernetzungstreffen: Später am Samstag fand ein grünes Vernetzungstreffen statt, auf dem etwa 30-40 Mitglieder und ein paar Interessierte sich gegenseitig bekannt machten. Es wurde kurz eine mögliche zukünftige Zusammenarbeit besprochen, das Wurzelwerk und die Idee eines „GrünenCamps“. Da für die Diskussion aber nur etwa 15 Minuten Zeit war, da die Vorstellungsrunde bereits eine halbe Stunde dauerte, wurden die Themen nicht weiter vertieft.

Wurzelwerk: Da auf dem Vernetzungstreffen größeres Interesse am Wurzelwerk bestand, meldete Fabian Heil spontan am Sonntag noch einen Workshop zum grünen Mitgliedernetzwerk an. Der Workshop war überraschend gut besucht, auch Mitglieder der Piratenpartei und der SPD interessierten sich offensichtlich dafür. Der Vorstellung folgte eine ausgesprochen interessante Diskussion. Fabian räumte recht freimütig viele Probleme beim Wurzelwerk ein und gab auch eine Vorstellung von den finanziellen Dimensionen des Projekts, der wohl besonders für einige Vertreter der Piratenpartei recht überraschend war. Mir selbst war zum Beispiel neu, dass das Wurzelwerk vor allem auch bereits existierende Insellösungen vereinigen soll und sich dabei in die zentrale Mitgliederverwaltung integrieren muss. Die Piraten bestätigten, gerade bei der Mitgliederverwaltung auch recht ähnliche Probleme zu haben, und auch dem SPD-Vertreter kamen wohl einige Probleme recht bekannt vor.

Diskussionsrunde „Netzneutralität“: Dem Votrag von Markus Beckedahl am Samstag zur Einführung in die Thematik folgte eine größere Diskussionsrunde am Sonntag. Mit Konstantin v. Notz (Grüne), Sebastian Blumenthal (FDP), Peter Tauber (CDU), Matthias Groote (SPD) und Stefan Engeln (vom Internet-Provider 1&1) war die Runde wieder recht hochkarätig besetzt – und dieses Panel war inhaltlich tatsächlich auch recht ergiebig, die Diskussionsteilnehmer konnten ihre unterschiedliche Positionen recht deutlich darstellen:

  • Für Notz (Grüne) ist der neutrale Netzzugang Teil der Daseinsvorge; da die Provider ein kommerzielles Interesse an der Traffic-Regulierung hätten und es in anderen Ländern bereits einige Probleme dahingehend gab (und Skype auch in vielen Mobilfunksystemen blockiert wird, was eben gerade ein Verstoß gegen die Neutralität ist), solle der Staat generell, aber insbesondere in Fällen, in denen Staatssubventionen fließen, auf einen neutralen Netzzugang bestehen.
  • Blumenthal (FDP) sprach sich ebenfalls für Netzneutralität aus; der Staat solle aber erst nicht schon präventiv regulierend eingreifen, sondern erst dann, wenn ein Missbrauch auch tatsächlich festgestellt wurde. Ein Missbrauch ist für ihn dabei nicht automatisch, wenn die Netzneutralität verletzt wird, sondern nur dann, wenn dies geschieht, ohne in den AGBs geregelt zu sein.
  • Für den 1&1-Vertreter ist die ganze Debatte ohnehin nur eine „Scheindebatte“; die Neutralität werde mindestens genauso von den Herstellern proprietärer Mobilfunksysteme bedroht; dass Skype in manchen Mobilfunksystemen blockiert wird, sei auch kein gutes Beispiel für die Verletzung der Netzneutralität, da Skype ja ein proprietäres System sei, das damit selbst nicht neutral sei; außerdem zeige doch gerade die Diskussion um die Netzsperren, dass sich die Politik aus der Regulierung des Internets besser heraus halten solle.

Politik-Bashing und Online-Diskussionskultur: Hier diskutierten die Leiter einiger Online-Magazine (u.a. taz,Vorwärts) darüber, wie sie mit den Nutzer-Diskussionen zu ihren Artikeln umgehen und welche Erfahrungen sie mit Trollen und radikalen Äußerungen gemacht haben. Allzu interessant war das ganze nicht, eben eine Aneinanderreihung von Einzelerfahrungen. Julia Seliger (taz) brachte aber reichlich Würze mit in die Diskussion, indem sie mit Äußerung wie „Ich würde gerne noch sehr viel mehr zensieren“ oder „90% des Internets ist völliger Müll“ (wohl völlig bewusst) das Publikum zum Kochen brachte, und zeitweise noch während der Podiumsdiskussion auf Tweets antwortete…

Fazit

Ich bereue es nicht, aufs PolitCamp gefahren zu sein, bin aber nun auch nicht hellauf begeistert.

Die Organisation des Camps machte einen recht soliden Eindruck. Die Location, ein zum Veranstaltungszentrum umgebautes ehemaliges Pumpwerk, lag leicht zugänglich am Ostbahnhof und sah von außen richtig cool aus. Die Verpflegung war okay – richtig toll war aber, dass es das Mittagessen kostenlos gab. Ein wirklich netter Service, beim ohnehin schon recht moderaten Eintrittspreis von knapp vierzig Euro.

Grundsätzlich hatte ich oft das Gefühl, dass die Teilnehmerzahl von etwa 900 am Samstag doch schon etwas zu hoch war um noch eine wirklich persönliche Atmosphäre aufkommen zu lassen. Am Sonntag war das schon eher der Fall, da waren es geschätzt nur noch etwas mehr als halb so viele.

Als störend empfand ich auch die auch seitens der Organisation forcierte Twitter-Fixierung. Diese kristallisierte sich besonders in einer großen Twitter-Wall hinter der Bühne des großen Saals, die live alle „#pc10“-Tweets anzeigte. Sie motivierte die Zuschauer in ganz besonderem Maße, ständig jede Aussage mitzukommentieren und die Leinwand als Live-Chat über die gerade stattfindende Diskussion zu verwenden – Schirrmacher würde hier seine Thesen zur Konzentration in Zeiten des Internets wohl mehr als bestätigt sehen. Als Mittel um sich kennenzulernen erfüllte Twitter dagegen sehr gute Zwecke – es lernten sich viele erstmals im RL kennen, die sich bisher nur als Follower ihrer jeweiligen Tweets kannten.

Und ich denke, so muss man das PolitCamp auch begreifen: eine Gelegenheit, Leute kennenzulernen und alte Kontakte zu pflegen – die Diskussionspanels stehen dem gegenüber nur an zweiter Stelle.