Am 6. Juli fand im bayerischen Landtag bei Ulrike Gote wieder ein Gespräch über Medienpolitik statt, diesmal über Internet- und insbesondere Computerspielsucht. Es diskutierten der Facharzt Oliver Pogarell, Christoph Hirte von „Aktiv gegen Mediensucht e.V.“ und Hendrik Lesser vom „Videospielkultur e.V.“ – und auch wieder viele der etwa 25 BesucherInnen.
Dr. Med. Oliver Pogarell stellte die aktuelle medizinische Perspektive auf Computerspielsucht dar. Im Gegensatz zu stoffgebundenen Süchten mit klar definierten Krankheitsbildern (besonders verbreitet: Alkoholsucht) ist die Computersucht medizinisch noch nicht klar verortet – also ob es sich dabei um eine Zwangsstörung handelt, eine Impulskontrollstörung, eine klassische Sucht, oder ein komorbides Symptom einer anderen zugrunde liegenden Störung. Sie ist meistens auf einen der drei folgenden Bereiche ausgerichtet: Cybersexualität, Exzessives Messaging oder Onlinespiele (zumeist Rollenspiele). Die Studien zur Verbreitung von Computersucht kommen zu unterschiedlichen Zahlen, von 1,8%-8,2% aller Jugendlichen – so oder so sind das extrem hohe Zahlen, was das Thema zumindest meiner Meinung nach sehr viel akuter macht als im Vergleich dazu eher aufgebauschte Gewaltspiel-Debatten. In 78% der Fälle kommen laut Pogarell noch weitere Probleme dazu, wie Alkoholmissbrauch, Depressionen oder Konzentrationsstörungen. Über die Kausalität wisse man allerdings noch nicht ausreichend Bescheid. Auch was die Behandlung angeht, steht die Forschung noch am Anfang: man könne sich zwar an anderen Krankheitsbildern orientieren, es gebe aber noch keine medizinisch bewiesene Therapien.
Im Anschluss an den Vortrag diskutierte man noch kurz darüber, inwieweit eine auftretende Computerspielsucht eher durch persönliche Prädisposition oder vielmehr durch Suchtfaktoren des jeweiligen Spiels bedingt seien bzw. inwieweit letztere überhaupt schon identifiziert sind (es klang eher noch so, als ob).
Nach diesem eher wissenschaftlich orientierten Teil berichtete Christoph Hirte als betroffenes Elternteil und als Initiator des Selbsthilfeportals Rollenspielsucht. Er schilderte anschaulich und eindringlich am Beispiel seines Sohns („Wir hatten unseren Sohn ans Internet, an World of Warcraft“ verloren.“), welche verheerenden Folgen Computerspielsucht haben kann, sowohl für den Betroffenen selbst als auch für die Familien, die damit meist völlig überfordert sind und sich aus Scham meist nicht oder erst zu spät trauen, Hilfe aufzusuchen. Er erzählte von oben genanntem Selbsthilfeportal und vom „Aktiv gegen Mediensucht e.V.“, dessen Vorsitzender er ist.
Auf mich persönlich machte sein Vortrag einen teils etwas zwiespältigen Eindruck. Während seine eben genannten Aktionen, Bündnisse und Vereine sicher äußerst wertvoll sind, griff er während dem Vortrag mit der Zeit immer tiefer in die Polemik-Trickkiste um seine anschließenden politischen Forderungen herzuleiten. Eine Aussage wie „Im Internet gibt es keinerlei Kinder- und Jugendschutz“ ist genauso weltfremd wie der berühmte „Rechtsfreie Raum Internet“ – und wurde kurz darauf auch von einer Mitarbeiterin der KJM, die sich im Publikum befand, richtig gestellt. Mehrfach verglich er noch Videospiele mit Zigaretten, und medienkompetent sei genau der, der „selbstbestimmt den Ausschaltknopf findet“. Anschließend stellte er einen Forderungskatalog auf, auf dem sinnvolle Maßnahmen wie der Ausbau von Therapieplätzen, mehr Planstellen an den Suchtberatungsstellen und der Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für die Problematik, Unterstützung für Projekte wie z.B. „Logout“ in Rosenheim standen, genauso wie Maßnahmen, die vielleicht noch einmal genauer durchdacht werden müssten, wie z.B. der Schaffung einer eigenen „Computerspielsteuer“.
Als dritter und letzter Referent kam Hendrik Lesser vom „Videospielkultur e.V.“ an die Reihe. Er betonte dabei einerseits, dass bei allen berechtigten Sorgen vor den Folgen der Computerspielsucht nicht übersehen werden sollte, dass Spiele sowohl als Kultur- als Wirtschaftsgut eine wichtige und positive Rolle in der Gesellschaft spielen. Andererseits erzählte er von den praktischen Problemen, mit denen sich der Jugendschutz häufig konfrontiert sieht, zu dem er sich aber auch ganz klar bekannte. So gäbe es beispielsweise größere Kompetenzprobleme zwischen der USK und der KJM hinsichtlich offline gekauften, dann aber online gespielten Videospielen. Zu einem späteren Zeitpunkt führte er außerdem aus, dass sich die Geschäftsmodelle der Onlinespiele stark im Wandel befinden: Spiele wie WoW mit einem Kaufpreis und monatlichen Gebühren sind mehr oder weniger bereits Auslaufmodelle, die Zukunft gehörten Spielen, die in der Basis-Version kostenlos zu spielen seien und erst in der Premiumversion Geld kosten. Schließlich merkte er auch an, dass es auch schwierig sei, ein Verbot von Spielen wie WoW für Kinder/Jugendliche rechtzufertigen; grundsätzlich jedes Spiel ziele auf den „Flow“-Effekt beim Spieler ab, und WoW sei darin nur besonders gut.
Mit der letzten These mutete er einigen im Publikum wohl etwas zu viel zu – hier gab es lautstarke Proteste dagegen, dem ganz offensichtlich regelrecht gehassten WoW auch nur irgendetwas, wenn auch nur abstrakt Positives zuzusprechen. Etwas vereinfacht ist die These aber sicher auch – es gibt ja durchaus bestimmte Elemente im Gamedesign, die offenbar dazu beitragen, häufiger Gegenstand einer Sucht zu werden. Beispielsweise persistente Spielewelten, die in Echtzeit ablaufen, kein Ende nehmen und bestimmte Belohnungssysteme besitzen.
Wie man mit solchen Spielen umgehen kann, wurde im weiteren Verlauf des Abends noch weiter diskutiert. Von den Eltern wurden klare Warnhinweise auf den Spielen gewünscht, gerade zum Suchtpotenzial. Der Vorschlag, bei Kindern und Jugendlichen seitens des Spiels Zeitlimits einzubauen, wurde in seiner tatsächlichen Wirkung eher kritisch beäugt. Scharf kritisiert wurde eine Aussage, Anliegen der Eltern müsse vorrangig sein, dem Kind eine angenehme Umgebung zu schaffen, dass es gar nicht erst in eine Sucht hinein gerate: gerade durch solche Aussagen würde das Gefühl geschürt, Computerspielsucht sei auf ein Versagen der Eltern zurückzuführen, was diese davon abhalte, Hilfe aufzusuchen. Ulrike Gote wies darauf hin, dass auch die Einführung einer Ganztagsschule präventiven Charakter haben könne. Außerdem sah sie wohl die Möglichkeit im neuen JMStV, Jugendschutzprogramme zu entwickeln, als recht positiv an.